Unnötig hohes Thrombose-Risiko durch Antibabypillen
Arzneimittelreport bemängelt Verschreibungspraxis bei Antibabypillen
16.06.2011
Bei der Vorstellung des Arzneimittelreports 2011 der Barmer GEK hat der Gesundheitsökonom Professor Doktor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen auf zahlreiche Missstände bei der Verschreibung von Medikamenten hingewiesen. Neben der Übermedikation von Demenzpatienten kritisierte der Experte dabei vor allem die Verschreibungspraxis im Bereich der Antibabypillen. Junge gesunde Frauen werden laut Aussage des Bremer Gesundheitsökonomen oft unnötig einem deutlich erhöhten Thrombose-Risiko ausgesetzt.
Der Arzneimittelreport 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Verschreibung der Antibabypille, häufig Produkte zum Einsatz kommen, die ein rund doppelt so hohes Thrombose-Risiko bedingen wie andere Präparate. Professor Doktor Gerd Glaeske vermutet, dass dies im wesentlichen durch die wirtschaftliche Interessen der Pharmakonzerne bedingt wird. Da die Patente älterer Antibabypille der zweiten Generation, welche ein deutlich niedrigeres Thrombose-Risiko mit sich bringen, auslaufen beziehungsweise ausgelaufen sind, werden stattdessen die riskanteren Antibabypillen der dritten und vierten Generation beworben, so der Vorwurf des Experten. Wie auch bei der Übermedikation der Demenzpatienten werden wirtschaftliche Überlegungen über die gesundheitlichen Bedürfnisse der Patienten gestellt, kritisierte der Bremer Gesundheitsökonom bei der Vorstellung des Arzneimittelreports 2011 der Barmer GEK am Mittwoch in Berlin.
Antibabypillen verursachen generell ein erhöhtes Thrombose-Risiko
Frauen, die mit der Antibabypille verhüten, setzten sich generell einem erhöhten Thrombose-Risiko aus, doch bei den älteren Präparaten der zweiten Pillen-Generation erleiden lediglich 15 bis 20 von 100.000 Frauen bei der Einnahme über ein Jahr eine Thrombose, wohingegen bei den moderneren Antibabypillen der dritten und vierten Generation 30 bis 40 gefährliche Thrombosefälle zu verzeichnen sind, erklärte Glaeske. Dass die neueren Präparate dennoch rund die Hälfte der Verschreibungen ausmachen, ist nach Einschätzung des Experten darauf zurückzuführen, dass die Patenten der älteren Pillen abgelaufen sind und daher die Gewinnspanne deutlich zurückgegangen ist. So versuchen die Pharmaunternehmen stattdessen durch umfassende Werbemaßnahmen ihre neueren lukrativen Produkte an die Frau zu bringen. Diese Werbemaßnahmen zeigen sowohl bei den Patientinnen als auch bei den Ärzten Wirkung, so der gemeinsame Vorwurf der Barmer GEK und des Bremer Gesundheitsökonomen.
Ärzteverbände und Pharmakonzerne weisen Anschuldigungen zurück
Die Ärzteverbände und Pharmakonzerne setzten sich gegen die implizierten Anschuldigungen des Arzneimittelreports 2011 umgehend zur Wehr und wiesen die Kritik als ungerechtfertigt zurück. Die Ärzte bestritten einen möglichen Zusammenhang zwischen der Verschreibungspraxis und Marketingbemühungen der Pharmaunternehmen. „Pauschal das Bild zu entwerfen, dass Ärzte verantwortungslos verordnen, ist perfide“, erklärte Roland Stahl, Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“. Eine Bevorzugung der lukrativeren aber auch riskanteren modernen Antibabypille dementierten die Ärzteverbände vehement. Generell würden sich die zuständigen Mediziner bei ihren Verordnungen auf die aktuellen medizinischen Leitlinien stützen, so dass der Spielraum von sich aus eng gesteckt sei. Die Pharmaunternehmen verwiesen ihrerseits hingegen darauf, dass mit allen Antibabypillen ein Thrombose-Risiko einhergehe, welches lediglich unwesentlichen Unterschieden unterliege. „Alle Antibabypillen haben das Merkmal, dass sie das Thrombose-Risiko etwas erhöhen (…) einige etwas mehr, andere etwas weniger“, erklärte der Sprecher des Verbandes der forschenden Pharmahersteller, Rolf Hömke im Gespräch mit dem „Hamburger Abendblatt“.
Frauen sollten sich vor Verwendung der Antibabypille gut informieren
Dass die Pharmaunternehmen versuchen ihre neueren lukrativeren Antibabypillen zu vermarkten, ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht durchaus verständlich, doch im Sinne der Patientinnen, sollte hier ein umfassende Aufklärung über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Präparate erfolgen, mahnte der Prof. Dr. Glaeske bei Vorstellung des Arzneimittelreports. Dabei seien in erster Linie die behandelnden Ärzte gefordert, um den Patientinnen eine eigene Urteilsbildung zu ermöglichen. Bisher werden jedoch die gewinnbringenden Antibabypillen der dritten und vierten Generation durch die Pharmakonzerne massiv beworben, während ihre Nachteil nur selten zur Sprache kommen, so die Kritik des Bremer Gesundheitsökonomen und Verfassers des Arzneimittelreports 2011. Glaeske zufolge, ist es bis heute „Tatsache, dass dieser Markt nicht zugunsten der Frauen ausfällt.“ Der Experte rät daher Frauen, die den Wunsch haben mit der Pille zu Verhüten, sich von ihrem Arzt intensiv über mögliche Risiken der verschiedenen Präparate informieren zu lassen und dabei auch das unterschiedliche Thrombose-Risiko nicht außer Acht zu lassen. (fp)
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Bild: Benjamin Klack / pixelio.de
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