Patienten verstehen ihre Ärzte nicht: Viele sprechen medizinisches Fachchinesisch
16.01.2012
Für einen Behandlungserfolg spielt neben den medizinischen Fähigkeiten des Arztes auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eine wichtige Rolle. Ärzte, die gestresst sind, gehen jedoch häufig nicht auf den Patienten ein, reden über ihn und nicht mit ihm und bauen durch ihr Fachchinesisch eine unnötig große Distanz zu dem Patienten auf. Ein neuer Ratgeber für Ärzte zeigt, dass es auch anders geht.
Einfühlungsvermögen lernen angehende Ärzte nicht im Medizinstudium
Fühlen sich Patienten von ihrem Arzt unverstanden und schnell abgefertigt, ist es fast unmöglich, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Besonders beim Übermitteln schlechter Nachrichten ist Fingerspitzengefühl bei Ärzten gefordert. Unfallchirurg Peter-Michael Hax, Oberarzt in einer Duisburger Unfallklinik, erklärt: „Es gibt Ärzte, die das können und denen das liegt, und manche, die es nicht können.“ Obwohl sich Ärzte heute nicht mehr als Halbgötter in Weiß ansehen würden, bestehe großer Handlungsbedarf. Er sagt weiter: „In der Medizin kann es nicht immer gut laufen. Und wenn der Arzt dann auch noch die Kommunikation einstellt, dann ist das eine Katastrophe.“ Der Unfallchirurg schrieb deshalb zusammen mit seinem Bruder Thomas Hax-Schoppenhorst einen Ratgeber für Mediziner mit dem Titel „Kommunikation mit Patienten in der Chirurgie“.
Thomas Hax-Schoppenhorst erläutert: „Der Patient kommt nicht nur mit seinem Gesundheitsproblem zum Arzt, sondern er bringt stets seine Geschichte, seine Scham, seine Ängste mit. Und auf den ganzen Menschen einzugehen, ist nicht unbedingt das, was Ärzte in der Ausbildung gelernt haben.“
Jedoch würden Patienten die Bemühungen eines Arztes um eine gute Kommunikation auch nicht immer richtig verstehen. Peter-Michael Hax berichtet von einer Patientin, die zwar aus medizinischer Sicht erfolgreich am Fußknöchel operiert wurde, jedoch dennoch starke Beschwerden hatte. Der Unfallchirurg hatte versucht, der Patientin deutlich zu machen, dass er sich sehr um sie bemühte und ihre Beschwerden ernst nahm. Er war ehrlich zu der Frau und unterrichtete sie darüber, dass er mit seinem Team alles versucht hatte, um ihr zu helfen, aber jetzt nicht mehr weiter wüsste. „Die Patientin hat dies als sehr negativ aufgefasst. Sie dachte sich: ‘Die besten Unfallchirurgen können mir nicht mehr helfen, die haben mich aufgegeben’.“
Besonders frustrierend ist die Visite im Krankenhaus
Patienten empfinden die Visite im Krankenhaus häufig als besonders frustrierend. Kein Wunder, denn oft wird der Patient von einer Horde von Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern früh morgens überfallen. Doch statt den Patienten über seinen Gesundheitszustand und mögliche Behandlungsmaßnahmen zu informieren, wird im Fachchinesisch kurz über ihn gesprochen. Zeit zum Fragenstellen bleibt für den Patienten in der Regel nicht. Im Ärzte-Ratgeber wird vom „kommunikativen Super-Gau“ gesprochen.
Unfallchirurg Hax erläutert, dass das Team in der Regel nur 45 Minuten für die Visite habe und in dieser Zeit die gesamte Station abarbeiten müsse. Mehr Zeit sei nicht vorhanden, da die Ärzte anschließend in den OP müssten. Sein Vorschlag: zwei Visiten. Eine solle am Vormittag nur für das behandelnde Team stattfinden und die andere mittags für den Patienten, um Fragen zu stellen.
Hax berichtet weiter, dass Frauen oft die besseren Ärzte seien, da ihre kommunikativen Fähigkeiten besser ausgeprägt und die Patienten deshalb zufriedener seien. Zudem würden Ärztinnen seltener wegen Kunstfehlern verklagt werden. Hax weiter: „Das geht dann allerdings oft auch auf Kosten der Karriere, denn gut zu kommunizieren, kostet Zeit.“
Der Unfallchirurg erklärt, dass das Problem längst erkannt sei. So gehöre die Kommunikation inzwischen zum Pflichtstoff im Medizinstudium. „Und amerikanische Haftpflichtversicherungen senken ihre Beiträge für Ärzte, wenn Kommunikationskurse nachgewiesen werden.“
Auch Patienten können etwas zu einem positiven Gespräch beitragen
Hax-Schoppenhorst rät Patienten sich gut auf ein wichtiges Gespräch vorzubereiten. Entsprechende Informationen seien im Internet zu finden und können bei Krankenkassen und Ärzten eingeholt werden. Er erklärt: „Während des Gespräches sollte man mit nichts hinterm Berg halten. Jede Frage ist berechtigt. Will ein Arzt das nicht hinnehmen, ist der Patient wohl an der falschen Adresse gelandet.“ Des Weiteren empfehlt Hax-Schoppenhorst: „Habe ich einmal Vertrauen gefasst, sollte ich nach Klärung aller Fragen mein Schicksal in die Hände des Fachmannes legen.“
Heilpraktiker, Osteopathen & Co. nehmen sich oft mehr Zeit
Aufgrund der negativen Erfahrungen bei Ärzten, wenden sich nicht wenige Patienten zuerst an ihren Heilpraktiker, Osteopathen oder anderen Fachmann aus dem alternativmedizinischen Bereich. Natürlich können diese nicht in jedem Fall helfen, denn grundsätzlich ist es ratsam, bei einer Erkrankung ärztlichen Rat einzuholen.
Patienten machen dort jedoch häufig positivere Erfahrungen. So nimmt sich ein Heilpraktiker in der Regel mehr als eine Stunde Zeit für den ersten Termin mit seinem Patienten. Der Patient fasst schneller Vertrauen, da er sich ernst genommen und im besten Fall gut aufgehoben fühlt.
Die Leistungen von Heilpraktikern können nicht über die gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden, so das gesetzlich Versicherte eine Rechnung erhalten, die sie privat bezahlen müssen. Auch das scheinen viele Patienten wohlwollend für die in ihren Augen bessere Betreuung in Kauf zu nehmen. Pech haben allerdings diejenigen, die entweder nicht privat versichert sind oder die es sich aus finanziellen Gründen nicht leisten können, eine Naturheilkunde Behandlung in Anspruch zu nehmen. Sie müssen darauf hoffen, dass sich auch in der konventionellen Medizin etwas ändert oder ein grundsätzliches Umdenken im gesetzlichen Gesundheitssystem stattfindet. „Patienten brauchen für die Genesung mehr Zuwendung und Zeit“, resümieren viele Gesundheitsexperten. Dann könnten oft aufwendige und teure Therapien und Diagnostiken vermieden werden. (ag)
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