Privatversicherte nutzen Möglichkeiten zur Flucht aus der PKV
10.01.2012
Die Medienberichte über einen massiven Zustrom von Privatversicherten in Richtung der gesetzlichen Krankenkassen, rufen bei den Versicherungsverbänden kontroverse Reaktionen hervor. Während sich der GKV-Spitzenverband nach eigenen Angaben über den Gewinn neuer Versicherter freut, betonte der Sprecher des PKV-Verbandes: „Tatsache ist, dass jedes Jahr weitaus mehr gesetzlich Versicherte in die private Krankenversicherung wechseln als umgekehrt.“
Angesichts der Tatsache, dass vom Gesetzgeber bei Verlassen der GKV eigentlich keine Rückkehrmöglichkeiten vorgesehen sein sollten, scheint der Zustrom von Versicherten von den privaten in Richtung der gesetzlichen Krankenversicherungen äußerst fragwürdig. Sicher mögen sich die gesetzlichen Krankenkassen über den Gewinn von Versicherten freuen, doch ist zu hinterfragen, ob an dieser Stelle nicht nur der Missbrauch des Systems zugenommen hat. Denn möglicherweise nutzen heute einfach mehr Menschen in jungen Jahren bei hohem Einkommen die Option einer günstigeren Versicherung in der PKV und machen im späteren Lebensverlauf bei steigenden Beitragssätzen von einer der wenigen Ausnahmemöglichkeiten, die eine Rückkehr in die GKV erlauben, Gebrauch. Mit anderen Worten: In den Jahren mit gutem Gesundheitszustand und niedrigen Behandlungskosten sind die Betroffenen günstig in der PKV versichert, im Alter (bei hohen Leistungskosten) kehren sie zu relativ niedrigen Beitragssätzen in die gesetzliche Krankenkasse zurück.
Fast 30.000 Privatversicherte wechseln zurück in die GKV
Um einen derartigen Missbrauch des Systems zu vermeiden, hat der Gesetzgeber zahlreiche regulatorische Hürden eingezogen, die eine Rückkehr von der PKV in die GKV verhindern sollen. Doch die wenigen bestehenden Schlupflöcher scheinen immer mehr Privatversicherte zu nutzen, um doch wieder in der GKV aufgenommen zu werden. Wie der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erklärte, häufen sich „die telefonischen Anfragen von Privatversicherten, die zur AOK kommen wollen.“ Weiter berichtet „Der Spiegel“, dass im vergangenen Jahr rund 27.600 Versicherte von der PKV zur größten gesetzlichen Krankenkasse Barmer GEK, wechselten, was einem Anstieg der Versicherungswechsel um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspreche. Ein Zustrom an Versicherten, den die gesetzlichen Krankenkassen laut Aussage des Sprecher vom GKV-Spitzenverband, Florian Lanz, durchaus begrüßen.
Mitgliederzustrom nicht unbedingt ein Wettbewerbsvorteil für die GKV
Für Lanz liegt die Ursache der vermehrten Versicherungswechsel dabei auf der Hand: „Es scheint sich langsam herumzusprechen, dass das schöne Werbebild der PKV Stets besser und billiger! der Realität nicht entspricht.“ Dem GKV-Verbandssprecher zufolge ist bei den gesetzlichen Krankenkassen „im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben jeder willkommen.“ Nach der Insolvenz der City BKK im vergangenen Jahr waren einige gesetzliche Krankenkasse jedoch eher durch eine gegenteilige Haltung unangenehm aufgefallen – auch wenn hier die Versicherten nicht von einer privaten sondern einer gesetzlichen Krankenversicherungen kamen. Außerdem mögen die gesetzlichen Krankenkassen zwar den Mitgliederzustrom aus der PKV als Wettbewerbsvorteil interpretieren, doch tatsächlich kann dieser auch erhebliche Nachtteile mit sich bringen. Denn insbesondere bei den älteren Versicherten steigt das Risiko, dass die Leistungsausgaben die Höhe der zusätzlichen Beitragseinnahmen übersteigen. Auch würden die Versicherten auf Kosten der Solidargemeinschaft versorgt, obwohl sie sich in jungen Jahren, mit hohem Einkommen und guter Gesundheit, der Solidargemeinschaft entzogen haben.
PKV-Verband kritisiert „unseriöse“ Darstellung
Der Verband der privaten Krankenversicherungen hat in einer Stellungnahme zu den aktuellen Medienbericht der Aussage von Florian Lanz widersprochen und betont, dass die privaten gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen keineswegs ins Hintertreffen geraten seien. Den Versuch hier einen anderen Eindruck zu erwecken, erklärte der Sprecher des PKV-Verbandes, Stefan Reker, gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“ als „unseriös“ und betonte, dass die gesetzliche Krankenversicherung ihre Beiträge sofort um zehn Prozent erhöhen müssten, wenn sie „nicht 15 Mrd. Euro jährlich Zuschuss auf Kosten der Steuerzahler“ erhalten würden – „,ganz zu schweigen von Praxisgebühren, Zuzahlungen und Leistungskürzungen.“ Allerdings vergisst Reker an dieser Stelle zu erwähnen, dass die gesetzlichen Krankenkassen weder die Möglichkeit haben sich ihre Versicherten auszusuchen noch ihren Beitragssatz selber zu bestimmen – wie bei der PKV. Des weiteren erklärte der PKV-Sprecher, es bleibe „Tatsache, dass jedes Jahr weitaus mehr gesetzlich Versicherte in die private Krankenversicherung wechseln als umgekehrt.“ Hierbei muss jedoch erwähnt werden, dass eine Rückkehr von der PKV in die GKV vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht erwünscht ist und durch zahlreiche entsprechende Regelungen erschwert wird.
Hohe Beitragssätze Hauptgrund für Krankenversicherungswechsel
Als wesentlichen Grund für die vermehrten Wechsel von der PKV in Richtung GKV nennt die Gesundheitsexpertin der Zeitschrift „Finanztest“, Ulrike Steckkönig, die hohen Kosten für Privatversicherte mit steigendem Lebensalter. So müssten Personen, die sich mit Anfang 30 privat krankenversichern damit rechnen, dass sich ihre Beiträge bis zum Rentenalter mindestens verdreifachen, erklärte Steckkönig. Hier kommen im Alter schnell Beitragszahlungen zusammen, bei denen sich die Betroffenen nach einer Rückkehr in die GKV sehnen. Allerdings bleiben den Wechselwilligen nur wenige Schlupflöcher und einige fragwürdige Tricks, um doch wieder in der GKV unterzukommen. Viele dieser Optionen sind rechtlich äußerst umstritten und zumindest als Grauzone zu bewerten – manche sind schlichtweg verboten. Daher warnen Verbraucherschützer eindringlich vor Schummeleien. Wer zurück in die GKV möchte, sollte demnach unbedingt ehrlich sein. Denn „sich ein Wechselrecht mit Tricks zu erschleichen, ist gefährlich“, betonte Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten. So müssten die Betroffenen im Zweifelsfall die GKV wieder verlassen, sich erneut privat versichern (wahrscheinlich zu deutlich schlechteren Konditionen) und mit Schadenersatzforderungen rechnen.
Schlupflöcher zur Rückkehr in die GKV
Doch bestehen einige Ausnahmen, die auch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben eine Rückkehr in die GKV ermöglichen. So werden Beschäftigte zum Beispiel bei einem Jahreseinkommen unter „50.850 Euro brutto wieder in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert", erläuterte Thorsten Rudnik. Zudem bestehe auch bei Arbeitslosigkeit eine Möglichkeit zur Rückkehr in die GKV. Arbeitslosengeld I-Empfänger können ihre Privatversicherung kündigen und werden bei einem Anbieter ihrer Wahl gesetzlich pflichtversichert. Dies gilt jedoch nur beim ALG I. Die Empfänger „von Arbeitslosengeld II müssen in der privaten Krankenversicherung bleiben“, erklärte der Experte vom Bund der Versicherten. Ausgeschlossen ist eine Rückkehr in die GKV außerdem für Personen im Alter über 55 Jahren. Bei den eher fragwürdigen Tricks nennt der Fachmann zum Beispiel eine absichtlich niedrigere Festsetzung des Anfangsgehalts bei Neueinstellung – wobei das Gehalt erst nach dem Versicherungswechsel auf das eigentlich vorgesehene Niveau angehoben wird. Eine weitere Option sei, die zeitweise Reduzierung der Arbeitsstunden, so dass das Gehalt unter die Versicherungspflichtgrenze fällt. Derartige Tricks bewegen sich jedoch in einer rechtlichen Grauzone und verstoßen gegen die eigentliche Intuition des Gesetzgebers. (fp)
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Bildnachweis: Ronny Richert / pixelio.de
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