Jedes fünfte Kind zeigt Verhaltensauffälligkeiten
29.03.2011
Nach Angaben des Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) zeigt bereits jedes fünfte Kind in bayrischen Kindertagesstätten Verhaltensauffälligkeiten. Betroffen sind hiervon vor allem Kinder im Alter zwischen vier und fünf Jahren. Seelische Leiden sind auch bei Grundschülern verstärkt zu beobachten.
20 Prozent der Kindergartenkinder zeigen auffällige Verhaltensweisen
Mehr als 20 Prozent aller Vier- bis Fünfjährigen Kinder zeigen in bayrischen Kindergärten auffällige Verhaltensweisen. Der Verband der Kinderärzte stützt sich bei dieser Aussage auf eine Analyse der Vertragsarbeitsgemeinschaft der Betriebskrankenkassen in Bayern (90 teilnehmende Betriebskassen). Während der Auswertungszeit wurden insgesamt 4318 Kinder in einem Zeitraum zwischen Herbst 2009 und Sommer 2010 untersucht. Dabei zeigten sich insgesamt 943 untersuchte Kleinkinder als „auffällig“. „Diese Ergebnisse bestätigen unsere Beobachtungen in der Praxis. Wir sehen immer mehr Kinder mit Entwicklungsstörungen, Konzentrationsschwächen und seelischen Problemen. Die „neuen“ Krankheiten stellen auch enorme Herausforderungen an uns Kinder- und Jugendärzte. Nicht selten werden wir zum Familienpsychologen – und genau deshalb setzen wir auch neue inhaltliche Schwerpunkte in der Aus- und Fortbildung der Pädiater in Bayern“, erläuterte Dr. Martin Lang aus Augsburg, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Bayern (BVKJ). Während der regulären Vorsorgeuntersuchungen U8 (4. Lebensjahr) und U9 (5. Lebensjahr) wurden Erziehern und Erzieherinnen Fragebögen vorgelegt. Der Fragenkatalog umfasste Themen wie soziale Kompetenz, Feinmotorik, Bewegungsablauf und Körperkoordination sowie Konzentrationsfähigkeiten der Kinder.
15 Prozent Fehlentwicklungen auch bei Grundschülern
Nicht nur Kleinkinder sind nach Meinung des Ärzteverbandes von sozialen Defiziten betroffen. Auch bei den Vorsorgeuntersuchungen der Kinder im Grundschulalter wurden die „neuen Krankheitsbilder“ häufig beobachtet. Bei etwa 15 Prozent der Sieben bis Achtjährigen konnten im Verlauf der Vorsorgeuntersuchungen (U10 und U11) in Bezug auf soziale Kompetenz und emotionale Verfasstheit deutliche Defizite festgestellt werden. „Die Fragebögen werden von Lehrern und Eltern ausgefüllt – also von Menschen, die tagtäglich mit den Kindern zu tun haben. Insofern ist das Ergebnis schon beunruhigend. Wir sehen nicht nur eine Zunahme der so genannten „ADHS-Kinder“ – also von hyperaktiven und oft auch unkonzentrierten Kindern, die nicht selten Schulprobleme haben -, sondern auch Kinder mit emotionalen Problemen und leider auch viele, die im Umgang mit Gleichaltrigen Schwierigkeiten haben. Das ist jetzt schon ein großes gesellschaftliches Problem“, warnte Lang.
Neue Kinderkrankheiten erkennen und behandeln
Angesichts dieser Erkenntnisse ist man in Bayern dazu übergegangen gemeinsam mit den Betriebskrankenkassen ein Angebot zu entwickeln, dass „neuen Krankheiten“ frühzeitig erkennt. Spezialisiert ist das Behandlungs- Untersuchungsangebot auf seelischen und sozialen Probleme der Kinder. „Das sozialpädiatrische Modul, das wir im Rahmen des „BKK Starke-Kids-Vertrages“ entwickelt haben, gibt uns in der Praxis die Möglichkeit, uns intensiv mit den emotionalen Problemen der Kinder zu beschäftigen und Lösungswege zu entwickeln. Ziel ist es, die Kinder zu stabilisieren – und ihnen so viel emotionale Stärke zu vermitteln, dass ein Klinikaufenthalt nicht nötig wird. Leider hat die Zahl der Einweisungen von Kindern in psychiatrische Klinikeinrichtungen in den letzten Jahren dramatisch zugenommen“, erläutert Lang. Mit der Weiterentwicklung des pädiatrischen Versorgungsangebots will der Kinderärzteverband die Zunahme der seelischen Erkrankungen in der Praxis begegnen. „Die so genannten Selektiv-Verträge geben uns die Möglichkeit, schnell auf Veränderungen bei der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu reagieren. Natürlich steigen damit auch die Anforderungen an unser Fachgebiet – und genau deshalb setzen wir bei unseren Fortbildungsveranstaltungen entsprechende Schwerpunkte“, so Lang weiter.
Kinder leiden unter zunehmenden Stress
Die Beobachtungen des Kinder- Jugendärzteverbandes decken sich im Wesentlichen mit weiteren Studien. Eine Forsa-Umfrage kommt zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass bereits jeder zweite bayrische Schüler, unter Stresssymptomen leidet. Während der repräsentativen Umfrage wurden insgesamt 1.000 Eltern aus ganz Deutschland nach einer Einschätzung zum Stress ihrer Kinder befragt. Dabei zeigte sich, dass der Leistungsdruck insbesondere an Schulen kontinuierlich genommen hat. Daraus folgend gaben die befragten Eltern an, dass rund 29 Prozent der Schüler und Schülerinnen zum Teil an erheblichen Konzentrationsproblemen leiden. Auch leiden die Kinder in Bayern häufiger an Beschwerden wie Kopfschmerzen, als Kinder im restlichen Bundesgebiet. Vielfach wird allerdings nicht das Schulsystem als Hauptverursacher von Stress und psychischen Leiden thematisiert. Vielmehr verzeichnete unter anderem die Techniker Krankenkasse anhand einer Auswertung interner Patientendaten, dass ärtzliche Verordnungen von Medikamenten zu Steigerung der Konzentrationsfähigkeit rasant gestiegen sind. Pädagogen kritisieren in diesem Zusammenhang die Verstärkung der Leistungsfähigkeit mittels Arzneimittel. Kinder benötigen statt dessen mehr Entfaltungsmöglichkeiten und viel Freiraum zur Kreativität. (sb)
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Bild: Günter Havlena / pixelio.de
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