Krebsmedikament kann HI-Viren aus dem Versteck locken
26.07.2012
Forscher der Universität von North Carolina sind der Frage nachgegangen, warum der HI-Virus im Körper eines Infizierten zwar in Schach gehalten, aber dennoch nicht besiegt werden kann. Ein möglicher Anhaltspunkt sind spezielle Zellen, die zwar das Erbgut des Aids-Erregers enthalten, aber selbst keine Viren produzieren. In mehreren Studien sind Wissenschaftler der Ursache näher gekommen. Aufgrund der Forschungsergebnisse sind die Forscher nunmehr der Ansicht, dass eine latente HIV-Infektion medikamentös behandelt werden kann. Dazu müsse ein Krebsmedikament verabreicht werden, um latente HI-Viren „aus dem Schlaf zu locken“.
Bereits vorangegangene Forschungsarbeiten hatten ermittelt, dass ein Medikament, dass eigentlich für die Krebstherapie konzipiert wurde, bei einer vorliegenden HI-Viren-Infektion sogenannte Schläferzellen animieren kann. Der enthaltene Wirkstoff „Vorinostat“ hat laut vorliegender Ergebnisse die Eigenschaft, Zellen die das Erreger-Erbgut enthalten, aber keine Viren freisetzen, dennoch aktiv werden zu lassen. Die Viren werden dabei zusammengefügt und aus der Zelle freigesetzt, wie das Forscherteam in ihrem Studienbericht im Fachmagazin „Nature“ berichten. Durch diesen ermittelten Effekt „hätten HIV-Arzneien wieder einen Angriffspunkt, um gegen die HIV-Infektion vorzugehen“, wie die Wissenschaftler um David Margolis und Kollegen resümieren.
Latente HIV-Infektion könnte therapierbar sein
„Die Ergebnisse sind ein erster Beleg dafür, dass eine latente HIV-Infektion therapierbar sein kann“, betonen sie in dem Fachbericht. Bei einer latent vorhandenen Infektion würden die körpereigenen Abwehrzellen zwar Erbgut-Informationen des Virus enthalten, „aber mit diesem Bauplan keine neuen Viren produzieren“. Das Problem: Konventionelle Medikamente in der HIV-Therapie haben unter diesen Umständen keinen Angriffspunkt. Die Infektion würde sich „erfolgreich vor einer Arzneiwirkstoff-Attacke der antiretroviralen Therapie quasi verstecken“.
Für die Untersuchung wurden 16 Probanden Blut abgenommen und im Anschluss labortechnisch untersucht. Aus dem Blut der Teilnehmer wurden Zellen des Typs „CD4-positive Helferzellen“ isoliert und im Reagenzglas mit dem Wirkstoff Vorinostat vermengt. Sechs Stunden später war die sogenannte Genexpression in den Zellen von 11 Teilnehmern „signifikant hoch-reguliert“. In acht der elf Seren schlug der Wirkstoff an. Die Probanden, bei denen das Krebsmedikament im Reagenzglas einen Effekt zeigte, bekamen den Wirkstoff im Anschluss oral verabreicht. „Bei allen ist die Genexpression des HIV-Erbgut-Materials um das Anderthalbfache bis Zehnfache angestiegen“, erklärten Margolis und Kollegen.
Bestimmte Eiweiße locken HI-Viren hervor
In der Studie habe sich gezeigt, dass bestimmte Enzyme die Viren aus den schlafenden Zellen hervor locken können. Diese Vermutung gebe es schon länger, so die Forscher, denn die Histon-Deacetylase-Hemmer könnten Erbgut-Regionen freilegen, so die bisherige Vermutung einiger Forscher. Dadurch würden die Gensequenzen aktiviert, mit der Folge, dass die Baupläne ausgelesen werden können.
Den Forschern der Universität von North Carolina in Chapel Hill sei es nun in Kooperation mit weiteren Forschungseinrichtungen wie dem Pharmaunternehmen Merck und anderen Universitäten gelungen, den vermuteten Mechanismus zu bestätigen. „Der molekulare Mechanismus funktioniert und mit dem Histon-Deacetylase-Hemmer Vorinostat“, schreiben die Autoren. Der benannte Arzneimittelwirkstoff ist bereits auf dem US-Amerikanischen Medikamentenmarkt für die Behandlung von Krebspatienten zugelassen und wird von dem pharmazeutischen Unternehmen mit der Bezeichnung „Zoliza“ vertrieben.
Erste Vorergebnisse der Studienergebnisse wurden bereits auf dem Kongress „Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections“ Anfang März 2012 in Seattle vorgestellt. Weitere Details werden in dieser Woche auf der Welt-Aids-Konferenz in Washington D.C. berichtet.
Wertvolle Studie aber offene Fragen zur Dosierung
Die Ergebnisse erzeugen auch in Deutschland unter Fachleuten für Aufsehen. „Die Studie ist durchaus wertvoll“, kommentierte Prof. Dr. Georg Behrens von Klinik für Immunologie und Rheumatologie an der Medizinische Hochschule in Hannover (MHH). Behrens erforscht selbst mit Kollegen HIV-Therapien. „Es wurde mit sehr sensitiven und auch neuen Methoden gearbeitet. Erstaunlich ist, dass der Effekt des Medikaments im Menschen noch ausgeprägter war als in der Zellkultur." Jedoch wurden in dem „Nature“-Bericht einige wichtige Aspekte nicht näher erläutert, so der Experte. Unklar blieb beispielsweise, ob eine einmalige Dosis des Krebsmittels ausreiche, um alle latent schlummernden HIV-Zellen aufzuwecken. Zudem sterbe nicht jede Zelle ab, wenn sie HI-Viren produziert und ins Blut freigibt. (sb)
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