Bundeskanzlerin Angela Merkel denkt über eine Abschaffung der Praxisgebühren nach
13.10.2012
Weil sich im Gesundheitsfonds Milliardenüberschüsse befinden und einzelne Krankenkassen damit beginnen, die Praxisgebühr ihren Versicherten rückwirkend zu erstatten, denkt die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die grundsätzliche Abschaffung der Praxisgebühren nach. Stimmen des Koalitionspartners FDP und die Opposition fordern bereits seit geraumer Zeit die Abschaffung der Gebühren.
Werden die Praxisgebühren noch in dieser Legislaturperiode abgeschafft? Auf diese Frage sagte der Regierungssprecher Steffen Seibert: „Die Bundeskanzlerin denkt derzeit intensiv über die vorgebrachten Argumente nach“. Hierzu wolle sich die Kanzlerin „ein Gesamtbild im Gesundheitswesen verschaffen“. Auf die Frage der Journalisten, ob Angela Merkel „weiterhin die von der FDP geforderte Abschaffung der Praxisgebühren ablehnt“, sagte Seibert, „momentan findet ein Prüfen der dargelegten Argumente statt“.
In diesem Zusammenhang fordert erneut das Bundesgesundheitsministerium unter dem Vorsitz des Ministers Daniel Bahr (FDP) eine schnelle Abschaffung der Gebühren. „An einem Festhalten gibt es aus unserer Sicht keinem Grund“, sagte der Gesundheitsministeriumssprecher Christian Albrecht. Die Gebühren seien vielmehr „verkorkst“ und es sei ein positives Signal, „dass nach der KKH-Allianz nun auch die Techniker Krankenkasse (TK) als zweitgrößte Kasse Deutschlands unter bestimmten Voraussetzungen den Versicherten die Praxisgebühr erstattet“.
Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, hatte im Vorfeld noch verlautbaren lassen, dass es mit der CDU/CSU keine Änderungen geben wird. In einem Interview gegenüber dem Radiosender „Deutschlandradio Kultur“, betonte Spahn, dass die Milliardenüberschüsse der Krankenkassen ein „Schatz sind, den wir hüten sollten für schlechte Zeiten, statt ihn zu verprassen und dann mit einem Kater irgendwann aufzuwachen“. Auch der Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) ist gegen eine Revidieren der 2004 eingeführten Gebühren. Stattdessen sollten „die Überschüsse für Strukturreformen verwendet werden“.
Von Seiten der Opposition wird die Abschaffung der Praxisgebühren vehement gefordert. Für SPD Generalsekretärin Andrea Nahles reiche ein „Überprüfen der Lage nicht aus“. Die Kanzlerin und Koalitionspartner sollte nach Worten Nahles „endlich zu Potte kommen“. Es müsse eine gesetzliche Regelung zur „Abschaffung der Praxisgebühr her, damit alle Versicherten von dem finanziellen Plus bei den Krankenkassen profitieren können“.
Katja Kipping, Co-Vorsitzende der Fraktion „Die Linke“ zeigte sich verärgert. „Schwarz-Gelb blockiert seit dem Frühjahr einen Antrag auf Abschaffung der Praxisgebühr im Gesundheitsausschuss. Damit ist nun Schluss," sagte Kipping der „WAZ“. Noch im November soll der Bundestag über die Abschaffung abstimmen, so Kipping. Um das zu erreichen, will die Linke ihren Antrag nochmals auf die Tagesordnung setzen lassen. Dann „muss die FDP entscheiden, ob ihr die Bürger näher sind oder ihre Ministersessel", argumentierte Kipping.
Praxisgebühr hat ihren Sinn verfehlt
Für jeden ersten Arztkontakt im Quartal müssen gesetzlich Versicherte eine Gebühr von 10 Euro entrichten. Die Praxisgebühren wurden im Jahre 2004 im Zuge der Gesundheitsreform eingeführt, die um die Zahl der „unnötigen Arztbesuche zu reduzieren“. Durch die Extragebühr nehmen die Kassen pro Jahr etwa 2 Milliarden Euro mehr ein. Ein Studie zeigte, dass die Praxisgebühr ihren eigentlichen Sinn verfehlte. Kranke Menschen gehen trotz Gebühr zum Arzt, die Zahl der Arztkontakte konnte nicht wesentlich reduziert werden.
Die KKH-Allianz kündigte an, ab 2013 die Praxisgebühren für ihre Versicherten „de facto abzuschaffen“. Kassen-Vorstandschef Ingo Kailuweit kritisierte, die „Praxisgebühr belastet einseitig krank gewordene Versicherte“. Zudem verfüge die Gebühr über keinerlei Steuerungsmechanismen. „Das ist nicht gerecht“, so Kailuweit. Daher wolle die KKH-Allianz nicht warten, bis der Gesetzgeber „zur Einsicht gelangt die Praxisgebühren abzuschaffen“.
Kurz darauf beschloss auch der Verwaltungsrat der Techniker Kasse, ihren Mitgliedern ab Jahreswechsel die Prämienzahlung vornehmen und unter bestimmten Bedingungen die Praxisgebühr zu erstatten. Somit erhält jedes Beitragszahlende TK Kassenmitglied für den Zeitraum zwischen Mai und Dezember 2013 eine Prämie. Weist ein Mitglied weniger Beitragsmonate auf, „so findet eine anteilige Erstattung statt“. Allerdings sind Mitglieder von dieser Regelung ausgeschlossen, wenn sie in einen Beitragsrückstand aufweisen.
Der TK Kassenvorstandsvorsitzende Jens Baas sagte, die TK werde damit rund 500 Millionen Euro an die Kassenpatienten zurückzahlen. Nehmen darüber hinaus Versicherte an Gesundheitskursen, Vorsorgeprogrammen oder Früherkennungsuntersuchungen teil, können noch einmal bis 60 Euro Prämienzahlungen erlangt werden.
Als dritte Kasse kündigte die Hanseatische Krankenkasse (HEK) eine Prämie von 75 Euro an. Die Zahlung werde unabhängig von der Länge der Mitgliedschaft am ersten Mai 2013 an jedes Beitragspflichtige Mitglied überwiesen. Das habe der Verwaltungsrat einstimmig beschlossen. Mit der Prämie werden komplett die Jahresüberschüsse an die 300.000 Beitragszahlenden Mitglieder ausgezahlt. Familienmitglieder die mitversichert sind, erhalten keine Erstattung. (sb)
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