19.11.2012
Antibiotika können Leben retten, das steht außer Frage. Auch gehört das Medikament zu den wichtigsten Errungenschaften der Schulmedizin. Doch durch den geradezu inflationären Gebrauch wirken die antibiotischen Arzneimittel oft nicht mehr. „Im Zweifel Antibiotika verschreiben“, hieß lange Zeit die Devise der Hausärzte. Dabei helfen die Mittel beispielsweise bei viralen Infektionskrankheiten überhaupt nicht. Viele Patienten sind verunsichert und fordern dennoch ein Antibiotikum, in dem falschen Glauben nur dadurch gesund zu werden.
Fakt ist, leiden Patienten zum Beispiel an einer bakteriellen Lungenentzündung oder einer Sepsis (Blutvergiftung) kann Antibiotika Leben retten. Zudem können antibiotische Medikamente die Beschwerden einer Infektionskrankheit, die durch Bakterien hervorgerufen wurde, lindern und den Heilungsprozess beschleunigen. Weil aber Antibiotika als „Allheilmittel“ auch von Ärzten angesehen werden, werden die Mittel deutlich häufiger eingenommen, als der medizinische Nutzen es hergibt.
Bakterien sind sehr anpassungsfähig
Mittlerweile hat es sich herum gesprochen, dennoch ist die Anzahl der Verordnungen nicht im Verhältnis zum Nutzen. Mit jeder Verabreichung drohen sogenannte Antibiotikaresistenzen, weil viele Bakterienstämme sehr anpassungsfähig sind. Durch Mutationen können Anpassungen erfolgen. Die Folge: Die Bakterien werden quasi immun gegenüber den Wirkstoffen und bilden regelrechte Resistenzen. Danach wirken die Arzneien nicht mehr. Geben Infizierte resistente Bakterien an andere weiter, kommt es zur Ausbreitung. Es drohen Epidemien durch Antibiotikaresistente Bakterien.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Prof. Dr. Ferdinand Gerlach betonte: „unser Ziel muss es sein, Antibiotika so gezielt wie möglich einzusetzen und so wenig wie möglich und so viel wie nötig. Der Appell richtet sich dabei nicht nur an die Ärzte sondern auch Patienten. Denn viele Patienten verlangen beim Arzt ein Antibiotika, weil sie glauben, dadurch schneller gesund zu werden. Das bestätigt auch Professor Markus Dettenkofer vom Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg/Breisgau. Es gibt sie die Patienten, „die beim Arzt eine Behandlung mit Antibiotika verlangen". Oft sind es Eltern, die aus Sorge um ihre Kinder ein Antibiotikum fordern, oder Arbeitnehmer, die schnell wieder einsatzfähig sein wollen. Weil der Arzt sich dann unter Druck versetzt sieht, werde das Präparat oft vorschnell und unnötig verschrieben, obwohl der Mediziner eigentlich weiß, dass auf lange Sicht unnötig eingesetzte Antibiotika nicht nur für den Patienten, sondern auch gesamtgesellschaftlich gefährlich ist.
Patienten wissen zu wenig über mögliche Folgen
„Viele Patienten denken, es wäre das Nonplusultra, ein Antibiotika einzunehmen“, berichtet Dr. Carsten Matthias, Allgemeinmediziner aus Hamburg. Viele wissen zudem zu wenig über mögliche Folgen und auch Nebenwirkungen. Dabei sind die Arzneimittel bei Pilzen oder Viren ohne jeden Wirkmechanismus. Um jedoch konkret zu unterscheiden, ob die Erkrankung durch ein Virus oder Bakterium hervorgerufen wurde, müsste der Hausarzt eine Speichelprobe oder einen Urintest unternehmen und labortechnisch untersuchen lassen. Eine solche Diagnostik dauert aber einige Tage und steht meist nicht im Verhältnis zum Infekt. Auch wollen Patienten in vielen Fällen nicht so lange warten oder der Aufwand erscheint dem Arzt als zu hoch. Daher lassen sich Ärzte neben dem Druck der Patienten dazu verleiten, ein Antibiotikum zu verordnen.
Antibiotikum bei Grippe wirkungslos
Helmut Schröder vom Wissenschaftlichen Institut der AOK in Berlin betont: "Eine klassische Grippe wird meist durch Viren hervorgerufen". Auswertungen der Krankenkasse haben aber ergeben, dass mit steigenden Patientenzahlen viraler Infekte im Winter auch die Verordnungen von Antibiotika steigen, obwohl diese Mittel bei einer Grippe überhaupt nicht helfen. Schröder will aber nicht missverstanden werden: "Ganz unbestritten müssen Antibiotika bei einer Lungenentzündung, bei Verdacht auf Borreliose nach einem Zeckenbiss und bei Harnweginfektionen eingesetzt werden." Sinnvoll kann der Gabe von Antibiotika allerdings dann werden, wenn zu der Grippe ein bakterielle Entzündung hinzu kommt. Denn der Körper ist bei einem Infekt stark geschwächt, so dass Bakterien ein leichtes Spiel haben, in den Organismus einzufallen.
Verschiedene Wirkmechanismen von Antibiotika
Antibiotika ist nicht gleich Antibiotika. Die Zusammensetzung der Medikamente hemmt entweder das Wachstum der Bakterien oder tötet sie ganz ab. Während einige Wirkstoffe spezielle Erregerstämme gezielt bekämpfen, wirken Breitbandantibiotika wie zum Beispiel Penizillin oder Tetracyclin gleich gegen mehrere Bakterienarten. Können Erreger lokalisiert werden, dann kann auch gezielter behandelt werden. Kann kein Nachweis für den Erreger erfolgen, weil ein Notfall besteht, werden versuchsweise Therapien bevorzugt. "Man wird zuerst ein Breitbandantibiotikum einsetzen und parallel eine Diagnostik im Labor durchführen", erklärt der Mediziner. Liegen die Resultate aus dem Labor vor oder schlägt die bisherige Antibiotika-Therapie nicht an, so wird die Behandlung angepasst.
Nicht immer sind Antibiotika bei bakteriellen Infekten sinnvoll
Längst nicht jeder bakterieller Infekt muss mit Antibiotika behandelt werden. Viele Hals-Nasen-Ohrenärzte haben ihr Behandlungsstrategie bei der Mittelohrentzündung verändert. Denn bei einer akuten Mittelohrentzündung ist der Verlauf der Krankheit mit und ohne Antibiotika sehr ähnlich. "Wir empfehlen deshalb folgende Strategie: Vier von fünf Kindern haben nach 24 Stunden keine Schmerzen mehr, wenn ihnen schmerzlindernde Mittel wie Säfte gegeben werden“, sagt Schröder. Sehr wichtig ist die körperliche Schonung des Patienten und die Gewährleistung von ausreichender Zufuhr von Flüssigkeit. Halten die Beschwerden länger als zwei bis drei Tage an, sollte ein Arzt konsultiert werden. Dieser entscheidet dann, ob eine Antibiotika-Therapie geeignet ist. Unterstützend können auch Hausmittel bei Mittelohrentzündungen sein. Gerade Kinder erhalten zu oft Antibiotika.
Es ist Freitagnachmittag und alle Ärzte haben bereits geschlossen, doch das Kind weint vor Ohrenschmerzen. In der Notfallambulanz geben Ärzte im besten Falle eine Antibiotika-Verordnung mit, die nach 48 Stunden eingelöst werden kann, wenn die Beschwerden noch immer anhalten. So fühlen sich die Eltern beruhigt", berichtet Gerlach. In den meisten Fällen wird das Rezept nicht eingelöst, weil die Schmerzen auch ohne Antibiotikum weg sind.
Antibiotika haben zahlreiche Nebenwirkungen
Was viele nicht wissen: Jede antibiotische Medikamententherapie hat Folgen für den Körper. "Antibiotika haben zahlreiche Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall oder Erbrechen", betont Gerlach. Manche Patienten erleiden zudem eine allergische Reaktion. Daneben wird die Darmflora empfindlich gestört, wie eine aktuelle Studie der Stanford University (Palo Alto, Kalifornien) ermittelte. Daher raten Heilpraktiker und naturheilkundlich orientierte Ärzte nach einer Antibiotika-Therapie zu einer Darmsanierung, um die Darmflora wieder aufzubauen.
Mittlerweile unbestritten ist, dass Bakterien schon nach kurzer Zeit lernen, sich anzupassen. Sie bilden Abwehrmechanismen oder verändern ihr Erbgut nachhaltig. Daher sollten die Mittel bis zum Schluss eingenommen nicht etwa abgesetzt werden, wenn sich der Gesundheitszustand gebessert hat.
Nicht nur nachfolgende Therapien werden erschwert. Kleinkinder, Patienten mit einem geschwächten Immunsystem oder Krankenhauspatienten können einer akuten Lebensgefahr ausgesetzt sein. Sind Patienten schwer verletzt oder kommt es zu großen Operationen, bestehe immer die Gefahr, dass es zu einer bakteriellen Infektion oder Sepsis kommt. Deshalb werden Risikopatienten vor einer Klinikaufnahme immer erst labortechnisch auf Keime untersucht. (sb)
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Bild: Rainer Sturm / pixelio.de
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