Bertelsmann-Studie belegt: Kinder erhalten zu oft Antibiotika
15.02.2012
Kinder in Deutschland erhalten häufig fälschlicherweise Antibiotika. Die Medikamente werden offenbar als regelrechte Allzweckwaffe eingesetzt, auch bei Krankheiten wie beispielsweise einer Grippe, wo mit den Antibiotika keine Behandlungserfolge zu erzielen sind, so das Ergebnis einer Untersuchung der Universität Bremen im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.
Den Zahlen der aktuellen Studie zufolge erhielten im Jahr 2009 etwa 50 Prozent der drei bis sechs Jahre alten Kinder Antibiotika. Der Studienleiter Professor Dr. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen führt diesen hohen Anteil auch darauf zurück, dass viele Eltern Antibiotika für das ultimative Medikament halten und die Ärzte dieses daher „zur Beruhigung“ der Eltern verschreiben. Im „ARD-Morgenmagazin“ erklärte der Experte, dass die Verschreibung von Antibiotika in vielen Fällen wie beispielsweise bei „Infektionen der oberen Atemwege oder Mittelohrentzündungen (….) nicht unmittelbar erforderlich“ seien. Hier könne man durchaus zwei bis drei Tagen warten, um zu sehen, ob überhaupt ein Antibiotikum eingesetzt werden muss, betonte der Experte.
Regionale Unterschiede in der Antibiotika-Verschreibung
Neben den Antibiotika-Verschreibungen, die nicht unbedingt erforderlich wären, zeigt die Studie der Bertelsmann-Stiftung auch zahlreiche Verschreibungen, die eindeutig unnötig waren. So haben manche Hausärzte bei Virusinfektionen wie beispielsweise einer Grippe Antibiotika verordnet, obwohl die Medikamente antimikrobiell wirken und nicht antiviral. „Bei Virusinfektionen helfen keine Antibiotika“, betonte Prof. Dr. Glaeske. Auffällig waren laut Glaeske und Kollegen, auch die starken regionalen Unterschiede in der Verschreibungspraxis. Obwohl die Ursachen noch nicht eindeutig geklärt seien, gebe es Hinweise darauf, dass hierbei der Bildungsstand der Eltern, die Anwesenheit anderer Fachärzte und die Überweisungen zu diesen eine wesentliche Rolle spielen, erklärte der Experte. So seien beispielsweise in Regionen mit hohem Anteil an HNO-Ärzten vor Ort die Antibiotika-Verschreibungen geringer. „Wenn wir mehr Allgemeinärzte haben, haben wir die Erfahrung gemacht, dass auch mehr Antibiotika verordnet werden“, erläuterte Prof. Dr. Glaeske gegenüber dem „ARD-Morgenmagazin“.
Fälschlicher Einsatz von Antibiotika mit Folgen
Die Zahlen der aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung verdeutlichen, dass die inzwischen überarbeiteten Leitlinien zur Verordnung von Antibiotika offenbar nicht bei allen Ärzten ausreichend Berücksichtigung finden. In vielen Fällen werden die Antibiotika zu leichtfertig verschrieben, was langfristig schlimmstenfalls zur Folge hat, dass sie nach und nach ihre Wirkung verlieren. Die Erreger bilden Resistenzen und können fortan nicht mehr mit den gewöhnlichen Antibiotika behandelt werden. Erschreckend an den Ergebnissen der aktuellen Studie ist nach Ansicht der Experten zudem, dass manche Hausärzte bei Erkrankungen, die dringend eine Verordnung von Antibiotika erfordern, nicht reagierten. So verschrieben lediglich 60 Prozent der Allgemeinärzte bei Lungenentzündungen (Pneumonien) Antibiotika, während dies immerhin 80 Prozent der Kinderärzte taten.
Interaktion zwischen Eltern und Arzt besonders wichtig
Insgesamt spiele bei der Verordnung von Antibiotika die Interaktion zwischen Eltern und Arzt eine wesentliche Rolle, erläuterte Prof. Dr. Glaeske. Das Gespräch mit dem Arzt sei daher für die Eltern besonders wichtig, um herauszufinden, ob „wirklich auch ein Antibiotikum notwendig ist“, betonte der Experte. Erfreulicherweise seien sich mittlerweile zahlreiche Eltern der Tatsache bewusst, dass nicht sofort die Verschreibung von Antibiotika erforderlich ist, sondern durchaus zwei bis drei Tage gewartet werden könne, um die Notwendigkeit zu überprüfen, ergänzte Glaeske. Im Zweifelsfall könne nach der kurzen Wartezeit immer noch mit dem Einsatz von Antibiotika begonnen werden. Die Eltern sollten den Arzt daher im Gespräch darauf aufmerksam machen, dass sie bereit sind, mit der Verordnung von Antibiotika noch ein paar Tage zu warten, erläuterte der Experte. Die Ärzte fordert Glaeske dazu auf, sich dringend an die angepassten Leitlinien zu halten, denn diese sei der Stand des derzeitigen Wissens und „das derzeitige Wissen sagt: es gibt eine Ganze Reihe von Infektionen, die nicht mit Antibiotika behandelt werden müssen.“ (fp)
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