Gesunde Zellen könnten durch pflanzlichen Wirkstoff vor Chemotherapeutika geschützt werden
08.04.2014
Die Chemotherapie gehört abhängig von der Krebsart und dem Krankheitsstadium zur Standardtherapie bei Krebs. Dem Patienten werden dabei Chemotherapeutika verabreicht, die Krebszellen vernichten sollen. Eine für die Betroffenen besonders unangenehme Wirkung dieser Medikamente besteht jedoch darin, dass sie nicht nur kranke Zellen sondern auch gesundes, sich schnell teilendes Gewebe angreifen. Deshalb leiden viele Patienten an Nebenwirkungen wie Haarausfall und Übelkeit.
Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) haben jüngst einen pflanzlichen Wirkstoff entdeckt, der gesunde Zellen vor der Toxizität der Chemotherapeutika schützen könnte, gleichzeitig aber nicht die schädigenden Wirkung auf die Krebszellen verringert. Der Wirkstoff heißt "Rocaglamid", ist rein pflanzlich und wird bereits seit vielen Jahren in der chinesischen Medizin eingesetzt.
Pflanzlicher Wirkstoff Rocaglamid könnte Chemotherapie verträglicher machen
Durch die Entdeckung der schützenden Wirkung von Rocaglamid auf gesunde Zellen könnte die Krebstherapie für viele Patienten zukünftig besser verträglich werden, schreibt das DKFZ in einer Mitteilung. Es seien aber weitere Untersuchungen notwendig.
Die meisten Chemotherapeutika verursachen Schäden an der DNA von sich schnell teilenden Zellen. Das betrifft gleichermaßen Krebszellen wie auch gesundes Gewebe. Medikament, die ihre toxische Wirkung ausschließlich bei entarteten, bösartigen Zellen entfalten, gibt es bislang kaum. Zudem ist nicht bekannt, ob diese Mittel – unbeabsichtigt – auch die Krebszellen vor der Toxizität der Chemotherapeutika bewahren.
Viele Krebspatienten leiden während einer Chemotherapie an Haarausfall, weil die Haarfollikelzellen angegriffen werden, an Übelkeit und Erbrechen, da die Magen- und Darmschleimhäute geschädigt werden, und an weiteren unangenehmen, schädlichen Nebenwirkungen. Wissenschaftler suchen deshalb bereits seit Langem nach neuen Wirkstoffen, die einerseits gesunde Zellen schützen und anderseits Krebszellen vernichten. „Rocaglamid war einer von vielen pflanzlichen Substanzen, die wir getestet haben“, berichtet Min Li-Weber vom DKFZ, die die Studie leitete. „Der Wirkstoff wird aus Kräutern gewonnen und seit vielen Jahren in der chinesischen Medizin beispielsweise gegen Entzündungen eingesetzt.“
Umso mehr pflanzlicher Wirkstoff, desto größer der Schutz gesunder Zellen vor Chemotherapeutika
Im Rahmen der Studie behandelten die Forscher weiße Blutkörperchen von gesunden Spendern mit verschiedenen Chemotherapeutika. Zudem wurde Rocaglamid in unterschiedlichen Konzentrationen zugesetzt. „Je höher die Menge an Rocaglamid war, desto mehr weiße Blutkörperchen haben überlebt“, erläutert Li-Weber. Der pflanzliche Wirkstoff hatte aber laut DKFZ keinen Einfluss auf die Überlebensrate der verwendeten Krebszelllinien.
Um herauszufinden, ob Rocaglamid DNA-Schäden an gesunden Zellen verhindern kann, führten die Forscher einen Vergleich von Zellen durch, von denen ein Teil mit den Chemotherapeutika und dem Wirkstoff und der andere Teil ausschließlich mit den Chemotherapie-Mitteln behandelt wurde. „Die Schäden waren nahezu identisch“, berichtet Michael Becker, Erstautor der Studie „Das bedeutet zum einen, dass Rocaglamid die Wirkung der Chemotherapeutika nicht direkt verhindert. Zum anderen heißt es aber auch, dass der Wirkstoff selbst keine DNA-Schäden verursacht.“
Pflanzlicher Wirkstoff blockiert Bildung von Protein
Weitere Untersuchungen ergaben, dass Rocaglamid die Bildung des Proteins p53 verhindert, welches auch als „Wächter des Genoms“ bezeichnet und von Zellen mit geschädigter DNA produziert wird. Das Protein löst ab einem bestimmten Grenzwert den sogenannten programmierten Zelltod aus, so dass die Zelle abstirbt. „Rocaglamid verhindert also, dass gesunde Zellen nach Kontakt mit einem Chemotherapeutikum das Protein p53 bilden und so den programmierten Zelltod aktivieren“, erklärt Becker. „Und weil p53 bei etwa der Hälfte aller Krebsarten in den Krebszellen fehlt oder defekt ist, hatte Rocaglamid in unseren Tests keinen Einfluss auf die Krebszellen.“ Dadurch könnten Krebspatienten ohne p53 in den Tumoren von dem Wirkstoff profitieren, da Rocaglamid dann nur die gesunden Zellen vor der toxischen Wirkung der Chemotherapeutika schützen würde. „Zahlreiche Versuche in anderen Laboren haben ergeben, dass ein kurzfristiges Blocken von p53 zu keinem erhöhten Krebsrisiko führt“, so Becker weiter. „Ob das auch für Rocaglamid gilt, wollen wir als nächstes herausfinden.“ Der Forscher hat bereits eine Hypothese dazu aufgestellt: „Es könnte sein, dass die Zellen so mehr Zeit haben, ihre DNA-Schäden zu reparieren.“
DKFZ feiert 50 Jahre deutsche Krebsforschung
Das DKFZ wurde 1964 in Heidelberg gegründet. Seitdem widmen sich die Wissenschaftler der Erforschung neuer Wirkstoffe, verbesserter Therapieverfahren und den Entstehungsmechanismen von Krebs. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des DKFZ wies der Vorstandsvorsitzende Otmar D. Wiestler auf die großen Erfolge des Zentrums hin: „Ganz besonders stolz sind wir auf die Erfolge meines Vorgängers Harald zur Hausen: Seine Entdeckung, dass Gebärmutterhalskrebs durch Papillomviren verursacht wird, war die Basis für die Entwicklung einer Impfung, die in Zukunft Frauen vor dieser schweren Krankheit schützen wird. Diese Forschung wurde zu Recht mit dem Nobelpreis gekrönt.“ Auch bei der Erforschung der Tumor-Stammzellen, die erst 2008 am DKFZ etabliert wurde, wird es Wiestler zufolge bereits in Kürze Ergebnisse geben. (ag)
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