Partydrogen gegen Depressionen und Angst
24.02.2015
Zur Behandlung psychischer Erkrankungen gibt es seit Jahrzehnten keine wirklich neuen Medikamente mehr. Einem Pressebericht zufolge sind nun ausgerechnet Halluzinogene wie Ketamin oder psychoaktive Pilze die Hoffnungsträger. Solche Partydrogen sollen gegen Depressionen und Angst helfen.
Partydroge für depressive Patienten
Patienten, deren Depression als „treatment resistent“, als schwer behandelbar gilt, sind bei dem Psychiater Malek Bajbouj am Benjamin Franklin Campus der Berliner Charité offenbar gut aufgehoben. Wie die „Welt“ in einem aktuellen Beitrag berichtet, ist der Direktor des Centrums für Affektive Wissenschaften (CAS) bisher der einzige Wissenschaftler hierzulande, der Depressiven intravenös Ketamin verabreicht. Dieses Narkose- und Schmerzmittel ist als Partydroge unter dem Namen „K“ bekannt. Es ist zwar kein zugelassenes Antidepressivum, macht aber viele schwerst Depressive erst wieder lebensfähig, wie die Zeitung schreibt.
„Wirkmechanismen wie die vor 30 Jahren“
Viele depressiv Erkrankte haben bereits erfolglose Therapien mit Medikamenten hinter sich. Antidepressiva wirken oft nicht. Wirklich neue Medikamente gab es in den letzten Jahrzehnten kaum. „Die heutigen Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen basieren noch auf den gleichen Wirkmechanismen wie die vor 30 Jahren“, sagt Felix Hasler, der als Psychopharmakologe an der Berlin School of Mind and Brain der Humboldt-Universität zu Berlin arbeitet. „Sie werden zwar minimal verändert und dann als etwas Neues verkauft, aber wirkliche Innovationen bei Psychopharmaka gibt es seit Jahrzehnten keine.“
„Keine Ahnung, was da im Kopf passiert“
Die Psychiatrie stecke in einer Krise, so Hasler. Er erklärt, dass man in den 1980er-Jahren mit dem Aufkommen bildgebender Verfahren, die es erlaubten, dem Gehirn in Echtzeit beim Arbeiten zuzusehen, hoffte, bald die Krankheitsprozesse im Gehirn zu verstehen und so passende Medikamente entwickeln zu können. Dem war jedoch nicht so. „Man kann sagen: Wir haben bis heute keine Ahnung, was da im Kopf passiert, wenn jemand depressiv wird oder unter einer Angststörung leidet“, erklärt Hasler.
Erstes Experiment mit Ketamin bereits vor Jahren
Bajbouj hat zwar noch alternative Methoden zur Behandlung schwerer Depressionen im Angebot, doch die Elektrokrampftherapie (EKT) und die tiefe Hirnstimulation, die auch bei anderen Erkrankungen wie Clusterkopfschmerzen zum Einsatz kommt, sind recht invasive Behandlungen. Die Behandlung mit Ketamin schließt für ihn eine große Lücke, da die Droge zuverlässig und vor allem schnell wirkt. Dies zeigte sich bereits im ersten Experiment, das Carlos Zarate vom National Institute of Mental Health (NIMH) im Jahr 2006 durchführte. Es wurde damals festgestellt, dass viele Patienten innerhalb weniger Stunden auf die Substanz reagierten und bei einem großen Teil von ihnen die depressiven Symptome verschwanden. Zarate erhielt für die Entdeckung einen Preis der Brain & Behavior Research Foundation. Der Direktor des NIHM, Thomas Insel, sagte damals: „Nach meinem Wissensstand ist dies der erste Bericht über eine Behandlung, die mit nur einer Dosis so schnell, tiefgreifend und lang anhaltend wirkt.“
Ab Sommer soll Ketamin bundesweit getestet werden
Seitdem wurde Ketamin in verschiedenen Studien eine sehr gute Wirkung bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen bescheinigt. Auch Bajbouj erreicht bei 50 Prozent der Patienten eine Halbierung der Symptome und bei einem Drittel verschwinden sie sogar gänzlich. Er erläutert: „Wir bekommen mit unseren Methoden mittlerweile fast jeden Patienten aus der Depression raus.“ Ab Sommer soll Ketamin in einem größeren Versuch an zehn Zentren deutschlandweit getestet werden. Dies soll nasal und nicht wie bisher intravenös erfolgen, um die Behandlungsmethode zu vereinfachen. Zudem wird es darum gehen die Sicherheit einer solchen Behandlung zu testen. Auch Ketamin kann Nebenwirkungen verursachen, von Übelkeit und Schwindel, die häufiger auftreten, über Muskelkrämpfe bis hin zu seltenen Herzrhythmusstörungen wie Herzstolpern.
Langzeitwirkung ist noch nicht geklärt
Der Psychiater Ronald Duman von der Yale School of Medicine schrieb zusammen mit seinem Kollegen George Aghajanian im vergangenen Jahr im Fachjournal „Science“: „Die schnelle therapeutische Wirkung von Ketamin bei therapieresistenten Patienten ist der größte Durchbruch in der Forschung zur Depression seit 50 Jahren.“ Bajbouj ist aber trotzdem vorsichtig, da unter anderem die Langzeitwirkung von Ketamin nicht geklärt ist. „Die Erfahrung lehrt: Medikamente, die schnell wirken, lassen auch schnell wieder in ihrer Wirkung nach“, so Bajbouj. „Das ist bisher bei vielen Patienten auch beim Ketamin so.“
Wirkstoff aus psychoaktiven Pilzen gegen Angstsymptome
Auch andere Substanzen, die als Drogen bekannt sind, stehen im Interesse medizinischer Forschung. So arbeiten mehrere renommierte Universitäten in den USA an Studien zu halluzinogenem Psilocybin, dem Wirkstoff in psychoaktiven Pilzen. Die meisten untersuchen "die Wirkung der Substanz auf starke Angstsymptome, insbesondere im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs". Demnach lassen "sich mit Psilocybin deutliche Verbesserungen der Symptome nachweisen. Allerdings ist die Aussagekraft aufgrund geringer Probandenzahlen recht beschränkt".
Wissenschaftlern wird die Forschung schwer gemacht
„Ketamin, Psilocybin, LSD – all das sind unglaublich potente Substanzen“, meint Hasler. An halluzinogenen Substanzen zu forschen, wird Wissenschaftlern aber nicht einfach gemacht. Der britische Psychopharmakologe David Nutt, früherer Drogenberater der Labour-Regierung, hofft auf eine baldige Sondergenehmigung. „Die Menschen und die Medien sind dieser Forschung gegenüber viel offener geworden“, erklärt er verärgert. „Aber die Gesetze, die haben sich noch immer nicht verändert. Man muss nach wie vor eine Menge Bürokratie aus dem Weg räumen, wenn man solche Studien machen will.“
Pharmaindustrie hat wohl keine Interesse
Von der Pharmalobby wird wohl keine Hilfe kommen. Wie Hasler erklärt, lässt sich Psilocybin nicht patentieren und zudem könne die Pharmaindustrie das Image „Droge“ nicht gebrauchen. Er meint: „Es sollte im wissenschaftlichen Denken keinen Unterschied machen, ob eine Substanz gesellschaftlich akzeptiert als Medikament vermarktet oder als „Rauschdroge“ verboten wird.“ Egal, ob sie im Zeitgeist gerade auf dieser oder jener Seite der gesellschaftlich akzeptierten Linie stünden: Substanzen, welche das Denken, Erleben und Verhalten von Menschen beeinflussen können, seien immer potenzielle Kandidaten für einen therapeutischen Einsatz. (ad)
Bild: Mario Heinemann / pixelio.de
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