Drastischer Anstieg der ADHS-Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland
03.02.2013
Der Ärztereport der Barmer GEK offenbart einen drastischen Anstieg der ADHS Diagnosen. Zwischen 2006 und 2011 soll sich die Zahl der ärztlich diagnostizierten Fälle um 42 Prozent erhöht haben. Besonders häufig wird die Diagnose bei Kindern gestellt, deren Eltern über ein geringes Einkommen verfügen. Noch einmal erhöht sei das Risiko, wenn Eltern erwerbslos sind. Zudem: „Um so höher das Ausbildungsniveau steigt, sinke auch das Risiko“, resümiert der Ärztereport 2013.
Laut einer Auswertung der Barmer GEK im Rahmen des Ärztereports 2013 haben sich die ADHS Diagnosen fast verdoppelt. Zwischen 2006 und 2011 sind die Diagnosen um 42 Prozent gestiegen. In der Altersgruppe der Patienten unter dem 19. Lebensjahr stieg der Gesamtanteil von 2,92 auf 4,14 Prozent. Das bedeutet, dass über vier Prozent der bei der Krankenkasse Barmer GEK versicherten Kinder an ADHS leiden. Im vorletzten Jahr 2011 diagnostizierten Psychiater oder Kinderärzte bei 472.000 Jungen und 149.000 Mädchen unter 19 Jahre die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, kurz AHDS. „Bei rund 20 Prozent aller Jungen, die im Jahre 2000 geboren wurden, wurde zwischen 2006 und 2011 AHDS diagnostiziert“, heißt es in dem Report der Barmer GEK. Die Diagnosehäufigkeit lag bei Mädchen gleichen Jahrgangs in lediglich 7,8 Prozent der Patientenfälle.
Mehr Medikamente wie Ritalin verschrieben
Mit gleicher Schnelligkeit hat sich auch die Verschreibungshäufigkeit von Methylphenidaten wie Ritalin erhöht. Allein im Jahre 2011 wurde das Arzneimittel 336.000 mal verschrieben. Am höchsten lag die Verordnungsrate bei Kindern im elften Lebensjahr. Demnach bekommen etwa mindestens 10 Prozent der Jungen und 3,5 Prozent der Mädchen mindestens einmal in ihrem Leben ein ADHS-Medikament verabreicht.
Vor einer geradezu inflationären Diagnosehäufigkeit warnt der Barmer GEK Experte Rolf-Ulrich Schlenker. „Wir müssen aufpassen, dass ADHS-Diagnostik nicht aus dem Ruder läuft und wir eine ADHS-Generation fabrizieren“. Es könne nicht sein, dass immer mehr Kinder Pillen bei erzieherischen Problemen erhalten. „Das ist der falsche Weg. Ritalin darf nicht die erste Wahl sein“. Vielmehr müsste bei den Verschreibungen eine „trennscharfe Diagnose stattfinden, so Schlenker.
Auffällig sei, dass eine Verschreibungshäufigkeit beim Übergang in weiterführende Schulen zu beobachten ist. Die Studienautoren schlussfolgern daraus, dass „ein gesteigerter Leistungsdruck und eine hohe Erwartungshaltung der Eltern mitverantwortlich“ sein könnten. Eine wissenschaftliche Bestätigung für die Annahme gebe es aber nicht.
Situation der Eltern spielt eine wichtige Rolle
Auch die gesellschaftlichen Hintergründe und die Einkommenssituation können eine signifikante Rolle spielen. Nach Angaben der Autoren steige das AHDS-Risiko, wenn die Eltern erwerbslos sind. Steigt das Ausbildungsniveau der Eltern, steige das ADHS Risiko. Daneben konnte der Ärztereport auch regionale Differenzen feststellen. Eine besonders hohe Verschreibungsquote von Ritalin und Co wurde in der bayrischen Stadt Würzburg festgestellt. Der bundesweite Durchschnitt liegt jedoch bei knapp 12 Prozent.
Oft Falschdiagnose ADHS
Eine Studie der Ruhr-Universität kam darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass viele behandelnde Ärzte ADHS vorschnell diagnostizieren . Die Studie war die erste empirische Erhebung in Deutschland die die Diagnosestellung von Ärzten und Therapeuten untersuchte. „Der Prototyp sei männlich und zeige Symptome wie Konzentrationsschwierigkeiten, Unruhe und Impulsausbrüche“. Fast zwangsläufig werde dann die Diagnose ADHS gestellt, so die Wissenschaftler. Trotz vorhandener Leitlinien stellten während der Untersuchung die Mehrheit der Psychotherapeuten und Ärzte die Falschdiagnose ADHS. (sb)
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Bild: Alfred Heiler / pixelio.de
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