Forschung: Gen-Mutation verhindert Alzheimer
12.07.2012
Isländische Forscher haben eine Gen-Mutation entdeckt, die das Risiko von Alzheimer-Demenz deutlich reduziert. Durch die spezielle Genvariante werden die Proteinablagerungen im Gehirn, welche als Auslöser der Erkrankung gelten, verhindert. Auch die gewöhnlichen altersbedingten Einschränkungen der kognitiven Leistungskraft waren bei Personen mit der speziellen Gen-Mutation wesentlich geringer.
Während in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Erbanlagen entdeckt wurden, die als Risikofaktor für Alzheimer gelten, war bislang nicht eine Genvariante bekannt, die eine schützende Wirkung gegenüber der neurodegenerativen Erkrankung hat. Die nun von den isländischen Forschern entdeckte Gen-Mutation zeigt offenbar jedoch genau diesen Effekt. Die Genvariante verändere die Struktur des sogenannten Alzheimer-Vorläuferproteins (APP), so dass weniger krankheitsauslösende Eiweißablagerungen (gebildet durch Beta-Amyloide) im Gehirn entstehen, berichtet das Forscherteam um Kari Stefansson von der University of Iceland in Reykjavik in dem Fachmagazin „Nature“. Unterstützt wurden die isländischen Forscher unter anderem durch Wissenschaftler der Universität Oslo, des Karolinska Instituts in Stockholm und des Instituts für Humangenetik an der Universität Tübingen.
Erbanlagen von 1.800 Isländern untersucht
Die Wissenschaftler hatten die Erbanlagen von 1.795 Isländern im Alter über 80 Jahren untersucht. Bei den Probanden, die keinerlei Anzeichen für Demenz zeigten, entdeckten die Forscher eine Genvariante, welche offenbar vor Demenz und Alzheimer schützt. Kari Stefansson, der auch für das Genforschungsunternehmen „deCODE genetics“ in Reykjavik arbeitet, hatte mit seinem internationalen Team die individuellen Unterschiede in der DNA-Sequenz des Gens, das für die Bildung des Alzheimer-Vorläuferproteins zuständig ist, untersucht. Das Gen liefere den Bauplan für das APP, welches durch die beiden Enzyme Gamma- und Beta-Sekretase anschließend zerlegt wird, wobei auch Beta-Amyloid entsteht. Dieses wiederum führt dazu, dass die Nervenzellen absterben und sich unlösliche Ablagerungen im Hirngewebe bilden, was eine nachlassende kognitive Leistungskraft und schließlich Alzheimer zur Folge hat. Bei der DNA-Analyse entdeckten die Forscher eine spezielle Gen-Mutation, die eine strukturelle Veränderung des Alzheimer-Vorläuferproteins bewirkt, wodurch das Enzym Beta-Sekretase das APP schlechter spalten kann. Infolgedessen entstehen 40 Prozent weniger schädliche Beta-Amyloide und das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung geht deutlich zurück, erläuterten die Forscher.
Gen-Mutation schützt vor Alzheimer und altersbedingtem Abbau der Hirnleistung
Einige der nicht dementen 80 bis 100-jährigen Studienteilnehmer werden durch die Mutation des APP-Gens vor einer Alzheimer-Erkrankung bewahrt, berichten Kari Stefansson und Kollegen. Auch ihre allgemeine geistige Leistungskraft war dank der Gen-Mutation deutlich überdurchschnittlich, so die isländischen Forscher weiter. Bei Gedächtnistests, schnitten die geistig gesunde Menschen, welche das mutierte Gen in sich tragen, wesentlich besser ab als nicht demente gleichaltrige Studienteilnehmer, ohne die entsprechende Genvariante. Demnach schützt die Gen-Mutation nicht nur vor Alzheimer, sondern verlangsamt anscheinend auch das natürliche Nachlassen der kognitiven Leistungsfähigkeit im Alter, erläuterten die Experten. Da der Effekt auf einer Beeinträchtigung der APP-Spaltung durch das Enzym Beta-Sekretase beruht, sind die aktuellen Forschungsergebnisse auch eine Bestätigung für die relativ neue Strategie der Alzheimer-Behandlung beziehungsweise -Vorbeugung durch Medikamente zur Hemmung der Beta-Sekretase, berichten Stefansson und Kollegen. Möglicherweise lasse sich durch die medikamentöse Beta-Sekretase-Hemmung, für die bereits erste Wirkstoffe zur Verfügung stehen, auch die geistige Leistungskraft im Alter generell stabilisieren, so die isländischen Forscher weiter.
Laut Kari Stefansson unterstützen die aktuellen „Ergebnisse indirekt die Hypothese, dass die Alzheimer-Krankheit und das normale Absinken kognitiver Hirnleistungen bei den Älteren möglicherweise auf denselben Mechanismen beruhen.“ In dem „Nature“-Artikel „Eine Mutation im APP schützt vor Alzheimer-Krankheiten und altersbedingtem kognitiven Abbau“ kommen die Forscher zu dem Schluss, dass „Alzheimer-Demenz die extreme Form des altersbedingten Nachlassens kognitiver Funktionen" sein könnte.
Fortschritte in der Demenz-Forschung erforderlich
Wie wichtige Fortschritte im Bereich der Demenz-Forschung und -Therapie sind, verdeutlichen die von den Forschern präsentierten Erkrankungszahlen. So leiden Kari Stefansson und Kollegen zufolge in den westlichen Industrieländern mehr als fünf Prozent der Bevölkerung im Alter über 60 Jahren an Demenz. Zwei Drittel der betroffen haben Alzheimer. Mit zunehmende Alter steige die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung kontinuierlich an, so dass mindestens ein Viertel der 90-Jährigen an Alzheimer-Demenz erkrankt, berichten die Wissenschaftler. Aussicht auf Heilung besteht bis heute nicht und auch das Fortschreiten der Erkrankung kann bislang nicht gestoppt werden. Die einzige Chance ist auf Basis der bestehenden Behandlungsmethoden eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs, so dass bei frühzeitiger Diagnose noch ein bis zwei Jahre gewonnen werden können, in denen die Patienten länger alltagstauglich bleiben. (fp)
Lesen Sie zum Thema:
Alzheimer durch Kummer und Stress?
Wissenschaftler entdecken Alzheimer-Hemmstoff
Mythen und Fakten: Was hilft gegen Alzheimer?
Ausbreitung von Alzheimer im Gehirn entschlüsselt
Alzheimer: Immer mehr Menschen leiden an Demenz
Spaziergänge schützen vor Alzheimer
Demenz und Alzheimer
Demenz: Ganzheitlicher Behandlungsansatz
Bild: Martin Gapa / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.