Studie zu Leukämie-Erkrankungen im Umfeld von Atomkraftwerken
14.07.2011
Immer wieder wurde in der Vergangenheit ein möglicherweise erhöhtes Leukämie-Risiko in der Nähe von Atomkraftwerken diskutiert. Zuletzt sorgte die umfassende deutsche Studie „Kinderkrebs um Kernkraftwerke“ im Jahr 2007 für Aufsehen, in der ein um 100 Prozent erhöhte Blutkrebs-Risiko bei Kinder im Alter unter fünf Jahren, die im Umkreis von fünf Kilometern eines der sechzehn deutschen Atomkraftwerke leben, festgestellt wurde.
Nun habe Schweizer Forscher der Universität Bern in der sogenannten Canupis (Childhood Cancer and Nuclear Power Plants in Switzerland) Studie ein um zwanzig Prozent erhöhtes Leukämie-Risiko bei Kleinkindern mit Wohnort im Umkreis von fünf Kilometern um die Schweizer Atomkraftwerke festgestellt. Allerdings seien die untersuchten Fallzahlen mit lediglich acht Leukämie-Erkrankungen (theoretisch erwartet wurden 6,8) zu klein, um daraus einen Zusammenhang mit den Atomkraftwerken abzuleiten, erklärten die Forscher des Berner Universitätsinstituts für Sozial- und Präventivmedizin (ISP). Außerdem waren in den Untersuchungsregionen mit größerem Abstand zu den Atomkraftwerken (fünf bis zehn Kilometer beziehungsweise zehn bis 15 Kilometer) deutlich weniger Leukämie-Erkrankungen aufgetreten, als statistisch erwartet wurden, so das Ergebnis der Canupis-Studie. Am Ende erlaubt die Studie daher keine verlässlichen Aussagen über einen möglichen Zusammenhang der Leukämie-Erkrankungen mit den Atomkraftwerken.
Geringe Aussagekraft der Krebsstudie aufgrund statistischer Unsicherheit
Im Rahmen der Canupis-Studie haben die Forscher des Berner Universitätsinstituts für Sozial- und Präventivmedizin (ISP) die Leukämie-Erkrankungen der letzten 25 Jahre in der Schweiz genau unter die Lupe genommen und mit dem jeweiligen Wohnort der Betroffenen verglichen. So sollte ein möglicherweise bestehender Zusammenhang der Leukämie-Erkrankungen mit einem Wohnort in der Nähe der Atomkraftwerke untersucht werden. Doch die Öffentlichkeit ist nach Vorstellung der aktuellen Studie am Dienstag nicht schlauer als vorher. Denn aufgrund der äußerst geringen Fallzahlen kann die Häufung der Leukämie-Erkrankungen in unmittelbarer Nähe der Atomkraftwerke (Umkreis bis fünf Kilometer) nicht als Belege für ein erhöhtes Leukämie-Risiko herangezogen werden. Bei acht Leukämiefällen gegenüber 6,8 statistisch zu erwartenden sei dies „mit dem Zufall vereinbar“, erklärten die Forscher bei Vorstellung der Canupis-Studie. Einen Zusammenhang zwischen den Leukämie-Erkrankungen und dem Wohnort in Nähe der Atomanlagen halten die Schweizer Forscher für „unwahrscheinlich“. Allerdings können sie diesen nicht ausschließen, da die „Beobachtung an kleinen Zahlen zu einer großen statistischen Unsicherheit“ führe, erklärte der Leiter des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin, Matthias Egger.
Kein erhöhtes Leukämie-Risiko nachzuweisen?
Insgesamt haben die Wissenschaftler die Daten von 1,3 Millionen Kindern im Alter zwischen null und 15 Jahren aus dem Zeitraum von 1985 bis 2009 analysiert, um einen möglichen Zusammenhang der Leukämie-Erkrankungen mit einem Wohnort im Umfeld der Atomkraftwerke zu überprüfen. Dabei haben die Forscher im Rahmen ihrer Untersuchung die Wohnorte im Umfeld der Reaktoren in drei verschiedene Untersuchungszonen unterteilt. Zone I mit Wohnorten im Umkreis von bis zu fünf Kilometern um die Atomkraftwerke, Zone II mit Wohnorten im Umkreis von fünf bis zehn Kilometern und Zone III mit Wohnorten im Umkreis von zehn bis fünfzehn Kilometern. Für die Zone I stellten die Forscher eine um 20 Prozent erhöhte Anzahl der Leukämie-Erkrankungen fest, wobei die Fallzahlen mit acht Leukämiefällen bei statistisch erwarteten 6,8 jedoch zu gering waren, um eine verlässliche Aussage zu treffen. In der Zone II lagen die tatsächlich festzustellenden Leukämie-Erkrankungen (12 Leukämiefälle) deutlich unter dem erwarteten Wert von 20,3 Blutkrebserkrankungen. In Zone drei war ebenfalls eine leicht erhöhte Anzahl der Leukämie-Erkrankungen festzustellen, doch bei 31 Leukämiefällen gegenüber 28,3 zu erwartenden, lasse auch diese Erhöhung keine Rückschlüsse auf einen Zusammenhang mit den Atomkraftwerken zu, erklärten die Schweizer Forscher. Insgesamt sei die Anzahl der Blutkrebserkrankungen im Umfeld der Kernkraftwerke zwar leicht erhöht, doch ein Zusammenhang mit den Atomanlagen lasse sich hieraus nicht ableiten, so das Ergebnis des Canupis-Studie. Ausschließen lässt sich dieser Zusammenhang auf Basis der aktuellen Untersuchung jedoch auch nicht.
Diskussion um erhöhtes Leukämie-Risiko im Umfeld der Atomkraftwerke
Damit bleibt weiterhin umstritten, ob die Strahlung der Atomkraftwerke im Normalbetrieb, bei Kindern mit Wohnort im Umfeld der Reaktoren möglicherweise Blutkrebs auslösen kann – auch wenn die Canupis-Studie einen solchen Zusammenhang nicht bestätigt. Die von der Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Krebsliga Schweiz (KILS) in Auftrag gegebene Studie hat somit die kritische Diskussion um einen möglichen Zusammenhang der Leukämie-Erkrankungen bei Kindern mit Wohnorten im Umfeld von Atomkraftwerken nicht wirklich bereichert. „Diese landesweite Kohortenstudie hat wenige Hinweise gefunden für einen Zusammenhang zwischen dem Wohnen in der Umgebung eines AKWs und dem Risiko für Leukämie oder anderem Krebs bei Kindern“, so das Fazit der Forscher. Allerdings sei „die statistische Aussagekraft“ aufgrund „der kleinen Fallzahlen (…) beschränkt und wir können eine leichte Zu- oder Abnahme der Fälle in der Fünf-Kilometer-Zone nicht ausschließen, insbesondere für Leukämie bei Kindern im Alter von null bis vier Jahren,“ erklärten die Wissenschaftler des Berner Universitätsinstituts für Sozial- und Präventivmedizin die Aussagekraft ihrer Studie.
Kritik an der Aussagekraft der aktuellen Studie
Der Schweizer Präsident der atomkritischen Ärzteorganisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung“ (IPPNW), Claudio Knüsli, erklärte nach Veröffentlichung der aktuellen Studie, dass diese methodisch sauber gemacht sei und keineswegs den Ergebnissen der deutschen Kinderkrebsstudie aus dem Jahr 2007 widerspreche. Allerdings bemängelte der Atomkritiker, dass schlichtweg zu wenig Fälle untersucht wurden. „Nur wenn das Risiko deutlich erhöht wäre, also sich zum Beispiel verdreifacht, lässt sich bei so wenigen Fällen eine statistisch klare Aussage machen“, betonte Knüsli. Bereits im Vorfeld der Canupis-Studie hatte Knüsli bemängelt, dass die Schweiz zu klein für eine derartige Untersuchung sei. „Man könnte ebenso gut eine Münze aufwerfen und müsste keine aufwendige Studie machen, die dazu missbraucht werden kann, zu behaupten, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Leukämie und Atomkraftwerken“, so der Vorwurf des Schweizer IPPNW-Präsidenten zu Beginn der Studie vor zwei Jahren. Darüber hinaus verwies Knüsli darauf, dass in der Canupis-Studie Kinder erst ab der Geburt erfasst werden, doch es sei bekannt, „dass der Embryo respektive das ungeborene Kind extrem empfindlich für radioaktive Strahlung“ ist. Daher hätte im Rahmen der Untersuchung auch der Wohnort der Mütter während der Schwangerschaft berücksichtigt werden müssen, erklärte der Schweizer IPPNW-Präsident. (fp)
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