Der Chef der Techniker Krankenkasse befindet die Praxisgebühr für entbehrlich
12.08.2012
Immer mehr Entscheidungsträger fordern die Abschaffung der Praxisgebühr. Erstmals fordert nun auch ein Chef einer gesetzlichen Krankenkasse die Streichung der Quartalsgebühr für den Arztbesuch. Eine Studie hatte bereits ermittelt, dass die Praxisgebühren das ursprüngliche Ziel verfehlt, unnötige Arztkonsultationen zu minimieren. Auf diese Untersuchung beruft sich auch der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse Jens Baas: „Die Praxisgebühr verhindert keine überflüssigen Arztbesuche.“
Ein Ärgernis für Kranke und Ärzte
Als erster Kassenchef fordert der Vorsitzende der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, die gänzliche Abschaffung der gesetzlich vorgeschriebenen Praxisgebühr. Bislang hatten nur Gesundheitspolitiker, Patientenvertreter und die Ärzteschaft die Streichung gefordert. „Krankenkassen und Gesundheitsfonds stehen derzeit finanziell sehr gut da. Es gibt keinen Grund, den Kranken sinnlos in die Tasche zu greifen“, erklärte der TK-Chef gegenüber der „Bild am Sonntag“. Zudem könne die Praxisgebühr keine unnötigen Arztbesuche verhindern und auch nicht Patientenströme steuern. Vielmehr sei die Quartalsgebühr „schlicht ein Ärgernis, für Kranke und Ärzte“.
Seit der Gesundheitsreform 2004 muss jeder erwachsene Kassenpatient pro Quartal 10 Euro für den Erstbesuch beim Haus-, Zahn- oder Facharzt zahlen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) plädiert für eine Beibehaltung der Praxisgebühren. Schließlich spült die Gebühr pro Jahr rund zwei Milliarden Euro in die Kassen. Nach Ansicht von Baas wäre aber diese Einnahmequelle für die Krankenkassen verzichtbar. Durch die Abschaffung könnten nicht nur Versicherte entlastet werden, sondern auch Ärzte, da diese dadurch viel weniger bürokratische Aufgaben zu bewerkstelligen hätten. Ein weiterer Positiveffekt könnte wirksam werden: „Mit dem sinnlosen Ausstellen von Überweisungen auf Vorrat wäre auch endlich Schluss.“
Baas ist erst kurze Zeit in der Position eines Kassenchefs. Im Juni diesen Jahres hatte sich sein Vorgänger, Norbert Klusen in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ noch gegen einen Rücknahme plädiert. Stattdessen sollten die Krankenkassen für schlechte Zeiten vorsorgen und den Aufbau weiterer Rücklagen forcieren.
Praxisgebühr verfehlte Sinn und Zweck
Im internationalen Vergleich ist Deutschland Spitzenreiter in Sachen Arztkontakte. Die zusätzliche Gebühr, die pauschal erhoben wird, sollte Patienten von „überflüssigen Konsultationen“ abschrecken. Eine Studie des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland zeigte aber, dass über 50 Prozent aller ärztlichen Therapien auf das Konto von rund 16 Prozent der Versicherten geht, die vornehmlich chronisch krank sind. Daraus ergibt sich, dass im Durchschnitt jeder Kassenpatient etwa 17 mal pro Jahr zum Arzt geht. Werden die 16 Prozent der Dauerbesucher allerdings abgezogen, so geht ein Kassenpatient im Durchschnitt nur vier mal jährlich zum Haus- oder Facharzt. Zudem kam die Auswertung zu dem Ergebnis, dass die Zuzahlungen nicht den gewünschten Effekt erzielen, „nicht unbedingt notwendige Kassenleistungen zu verhindern“.
77 Prozent der Bundesbürger votieren gegen die Gebühr
Eine repräsentative Umfragestudie des Meinungs- und Forschungsinstitut „Emnid“ befragte im Auftrag der „Bild am Sonntag“ 503 Deutsche zum Thema Praxisgebühren. Über zwei Drittel der Befragten (77 Prozent) sprachen sich für eine Abschaffung aus. Nur 22 Prozent sagten, „die Gebühr soll beibehalten werden“.
Bundesgesundheitsminister für die Praxisgebühr-Abschaffung
Aufgrund der Milliardenüberschüsse im Gesundheitsfonds sprach sich auch der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) für eine Praxisgebühr-Reform aus. „Die Kassen verfügen derzeit über 20 Milliarden Euro Rücklagen“, berichtet der Minister. Angesichts der hohen Überschüsse könne die Praxisgebühr abgeschafft werden. Die Koalitionspartner aus CDU und CSU lehnen dies allerdings ab und verweisen auf die Notwenigkeit von Rücklagen. Der GKV-Spitzenverband warnte, dass spätestens im Jahre 2014 aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs, des demografischen Wandels und der steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen die Überschüsse aufgebraucht sind. Dennoch soll im nächstfolgenden Koalitionsausschuss über die Praxisgebühr entschieden werden.
Erst im Juni 2012 hatten mehrere Bundesländer für ein Revidieren votiert, jedoch die erforderliche Mehrheit verfehlt. Bei der Gesundheitsministerkonferenz in Saarbrücken hatten elf der sechzehn Minister für die Abschaffung der 10-Euro-Gebühr gestimmt. Für eine Bundesratsinitiative müssen jedoch dreizehn Länder gleichen Willens sein. (sb)
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