Orthorexie: Gesunde Ernährung wird „Ersatzreligion“
25.08.2014
Zu viele Kalorien, zu viel Fett, nicht genügend Vitamine: Immer mehr Menschen machen sich Gedanken um ihr Essen. Wenn das Verlangen nach möglichst gesunder Ernährung jedoch obsessiv wird, sprechen Experten von der Essstörung "Orthorexie".
Wenn gesundes Essen zur Obsession wird
Gesundes Essen liegt im Trend: Zucker ist oft tabu, manchmal auch Milch, auf konventionelle Lebensmittel wird verzichtet. Immer mehr Menschen achten darauf, was sie zu sich nehmen. Manche tun dies aber so intensiv, dass es geradezu krankhaft wird. Dann können Betroffene vereinsamen, Mangelerscheinungen entwickeln und abmagern. Manche Psychologen sprechen dann von Orthorexie und sehen Parallelen zur Magersucht, wie „Spiegel Online“ in einem aktuellen Beitrag schreibt. Die Essstörung Orthorexia nervosa ist zwar schulmedizinisch nicht anerkannt, doch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie warnte erst vor Kurzem vor der sogenannten Orthorexie, bei der Menschen „vom gesunden Essen besessen“ seien.
Betroffene magern ab und vereinsamen
Wie „Spiegel Online“ schreibt, magern Betroffene ab, da es kaum noch Lebensmittel gibt, die sie essen wollen und leiden in Folge an Mangelerscheinungen. Zudem vereinsamen sie, weil Einladungen zum Essen bei Freunden abgelehnt würden, um nicht vom Ernährungsplan abweichen zu müssen. Andererseits versuchten sie andere zu „missionieren“, die sich deshalb zurückziehen. „Dann hat gesundes Essen krankhafte Ausmaße angenommen“, so der Psychiater und Psychotherapeut Ulrich Voderholzer, ärztlicher Direktor der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. „Das Risiko für eine Depression ist wegen des weggebrochenen Beziehungsnetzes deutlich erhöht“, erklärte der Experte laut dem Bericht.
Schuldgefühle und Angst
Weiter wird erläutert, dass Menschen mit Orthorexie auch zwanghafte Züge zeigen, wobei es sich bei Orthorexie um keine echte Zwangsstörung handelt. So bekommen Betroffene regelrecht Schuldgefühle und haben Angst, sich Schaden zuzufügen, wenn sie mal was gegessen haben, dass sie für nicht ganz gesund halten. Die Psychologin Friederike Barthels vom Institut für Experimentelle Psychologie der Universität Düsseldorf erklärte, dass "Orthorexie bei einem Teil der Betroffenen, und dabei handele es sich vorwiegend um Frauen, mit Gewicht und Körpergefühl verknüpft" ist. Neben der Angst, durch ungesunde Ernährung krank zu werden, sei einer der Beweggründe der Betroffenen, schlank zu sein. „Deshalb scheint die Orthorexie zumindest bei einigen Patienten eine Variante der Magersucht zu sein“, so Barthels.
Variante einer Essstörung
Die Diagnose ist jedoch umstritten, Orthorexie ist als Krankheit nicht anerkannt. Voderholzer sieht sie als eine Vorstufe beziehungsweise Variante einer Essstörung, wofür auch Studienergebnisse von Barthels sprechen. Laut einer Onlinestudie, die Barthels mit Kollegen durchgeführt hat, sollen etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung an Orthorexie leiden. Unter anderem gehörten zu den abgefragten Kriterien Ängste vor ungesunden Nahrungsmitteln oder seltsame Vorstellungen davon, was ungesunde Lebensmittel im Körper anrichten können. „Ein Beispiel hierfür ist die Angst eines Befragten, dass Gluten den Körper von innen verkleben könnte“, so Barthels.
„Gesundes Essen wird zur Ersatzreligion“
Der Düsseldorfer Psychologin zufolge haben Veganer, die aus philosophisch-moralischen Gründen auf alle tierischen Produkte verzichten, langfristig kein erhöhtes Risiko für eine Orthorexie. Diejenigen, die sich zu dieser Ernährungsweise entschlossen haben, um ihr Risiko für Krankheiten zu verringern, hingegen schon. Insbesondere seien Veganerinnen gefährdet, die mit dieser Ernährungsweise möglichst schlank werden wollen. Ein erhöhtes Risiko hätten zudem die Personen, die eine Diät machen, welche sehr strengen, spezifischen Regeln folgt. Vorderholzer meint: „Orthorexie ist vielfach das Ergebnis einer Suche nach Orientierung in einer komplexen Gesellschaft. Gesundes Essen wird zur Ersatzreligion, stabilisiert das Selbstwertgefühl.“
Betroffene wollen ihr Verhalten nicht ändern
Viele Betroffene sind von ihrem Verhalten überzeugt und wollen es nicht ändern. „Und das, obgleich wir bei einer Studie festgestellt haben, dass bereits eine mittelschwere Orthorexie einen Leidensdruck, eine verringerte Lebenszufriedenheit, geringeres persönliches Wohlbefinden verursacht“, so Barthels. Eher bereit für eine Therapie seien diejenigen, "die aufgrund einer sehr einseitigen Ernährung bereits Mangelerscheinungen haben". Für sie sind "Therapeuten und Psychologen, die sich mit Ernährungs- und Essstörungen auskennen, eine geeignete Anlaufstelle".
Körperliche Beschwerden durch Mangelernährung
Bei körperlichen gesundheitlichen Beschwerden durch falsche Ernährung sollte auch ein Arzt aufgesucht werden. Betroffenen könnten beispielsweise mit Untergewicht zu kämpfen haben. Zudem zeigt sich Mangelernährung auf körperlicher Ebene oft durch Symptome wie niedriger Blutdruck, verlangsamten Puls, Appetitlosigkeit, Durchfall oder Übelkeit. Darüber hinaus sind die Auswirkungen einer Mangelernährung zunächst ganz allgemein durch körperliche Schwäche, Antriebslosigkeit und Müdigkeit erkennbar. (ad)
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