Welt-Alzheimer-Tag: Bis 2050 drei Millionen Demenz-Patienten in Deutschland
20.09.2012
Derzeit leiden in Deutschland rund 1,4 Millionen Menschen an Demenz. Etwa jeder Dritte über 90 Jahre ist betroffen. Bis zum Jahr 2050 erwarten Experten doppelt so viele Demenzkranke, sofern es auch weiterhin nicht gelingt, eine erfolgsversprechende Therapie zu entwickeln. Es sei leichter einen Menschen zum Mond zu schicken, als einen Wirkstoff zu finden, heißt es aus Expertenkreisen. Aufgrund des hohen Pflegeaufwands ist Demenz eine der teuersten Erkrankungen, deren Kosten auch zukünftig weiter steigen werden.
Jährlich rund 300.000 neue Diagnosen für Demenz oder Alzheimer
Alzheimer ist eine neurodegenerative Demenz-Erkrankung. Alzheimer-Patienten leiden demnach an Demenz, jedoch ist nicht jeder Demenz-Kranke im Umkehrschluss auch von Alzheimer betroffen. Mittels neuropsychologischer Tests und bildgebender Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (MRT), mit deren Hilfe Alzheimer-typische Ablagerungen im Gehirn nachgewiesen werden können, kann die Art der Demenz, an der ein Betroffener erkrankt ist, diagnostiziert werden.
Morbus Alzheimer ist eine schleichende Erkrankung. Zunächst fallen die Patienten durch leichte Vergesslichkeit im Alltag auf. Viele Betroffene stellen immer wieder die gleiche Frage, verlegen Gegenstände, vergessen, wie man alltägliche Aufgaben verrichtet, sind teilweise orientierungslos und vernachlässigen ihr Äußeres. Im fortgeschrittenen Stadium werden selbst enge Familienangehörige zu Fremden für die Betroffenen. Sie erkennen Kinder, Enkel, Geschwister und Freunde schlichtweg nicht mehr.
Laut Experten beginnt Alzheimer jedoch bereits viele Jahre vor dem Auftreten erster klinischer Symptome mit der Ablagerung sogenannter seniler Plaques und Neurofibrillen im Gehirn der Betroffenen. „Die Krankheit scheint bereits im Gehirn von Menschen präsent zu sein – 15 Jahre bevor die ersten Symptome auftreten", erklärt Eric Karran von der britischen Organisation „Alzheimer’s Research UK“.
Die Proteinablagerungen der Plaques bestehen vor allem aus fehlerhaft gefalteten Beta-Amyloid-(Aβ-)Peptiden. Zudem kennzeichnen Neurofibrillen, die sich als Knäuele in den Neuronen ablagern, die Erkrankung. Morbus Alzheimer zählt zu den sogenannten Tauopathien, da fehlerhafte Tau-Proteine aus dem Zellkörper heraus wandern und sich an die Axone anlagern. Sie schränken die Zellen bis zur Unfähigkeit ein, da die Tau-Proteine nicht in den Zellkörper zurück können. Letztlich kommt es durch die Ablagerungen zum Absterben der Neuronen, was zur Abnahme der Hirnmasse führt. Darüber hinaus wird der Botenstoff Acetylcholin in nicht ausreichender Menge produziert, so dass die Hirnleistung allgemein abnimmt. Trotz intensiver Forscher sind die genauen Ursachen und Mechanismen der neurodegenerativen Erkrankung bislang nicht bekannt. Die entsprechende Diagnose kann meistens erst gestellt, wenn die Hirnzellen unwiederbringlich geschädigt sind.
Welt-Alzheimer-Tag steht unter dem Motto „Demenz: zusammen leben“
Derzeit leben rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland, die an einer Form der Demenz leiden. Etwa 900.000, zwei Drittel der Betroffenen, leiden an Alzheimer. Heike von Lützau-Hohlbein, Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, spricht von „erschreckenden Zahlen“. Der größte Risikofaktor für die Erkrankung ist das Alter. Zwei Drittel der Erkrankten sind über 80 Jahre alt. Knapp 70 Prozent der Betroffenen sind Frauen. In einigen Fällen scheint eine genetische Veranlagung vorhanden zu sein.
Am Freitag findet der internationale Welt-Alzheimer-Tag statt. Ärzte und Verbände nutzen die Gelegenheit, um erneut auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Unter dem Motto „Demenz: zusammen leben“ finden in vielen Ländern Veranstaltungen und Aktionen statt. „Damit möchten wir sichtbar machen, dass es auf das Miteinander ankommt. Es gilt die Bedürfnisse und Wünsche von Menschen mit Demenz zu hören und das Erfahrungswissen der Angehörigen zu berücksichtigen, denn nur so ist eine individuelle Betreuung möglich. Betroffene und Angehörige profitieren von guter Beratung und dem Wissen der Fachleute. Gerade auch die Professionellen aus Medizin, Pflege und Therapie sollten sich austauschen und zusammenarbeiten“, erklärt die Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.
Weltweit suchen Ärzte fieberhaft nach einer Methode zur Früherkennung von Alzheimer. Denn eine frühe Diagnose könnte die Erkrankung zumindest verzögern. Dafür eignet sich beispielsweise das sogenannte PET-Verfahren, dass im Universitätsklinikum Leipzig angewendet wird. Mittels dieser Methode können die Alzheimer-typischen Plaque-Ablagerungen im Gehirn sichtbar gemacht werden. Laut dem Nuklearmediziner Osama Sabri könne das Verfahren dazu beitragen, „die Diagnose Alzheimer frühzeitiger und mit größerer Sicherheit zu stellen."
Bislang keine erfolgreiche Therapie gegen Demenz und Alzheimer
„Bislang gibt es kein Medikament, das die Alzheimer-Krankheit heilen kann. Wann und ob überhaupt eine solche Arznei zur Verfügung stehen wird, lässt sich nicht vorhersagen“, berichtet Professor Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin und Vorstandsmitglied der Hirnliga e.V. Trotz vielversprechender Ansätze, komme es immer wieder zu Rückschlägen. „Die Forschung geht intensiv voran und es gibt vielversprechende Ergebnisse, aber auch Ernüchterungen, so ist etwa die Euphorie über eine baldig verfügbare ursachenbezogene Behandlung verflogen. Als Forscher können wir nur immer wieder dringend empfehlen, alle heute schon vorhandenen Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung zu nutzen. Bei einer frühzeitigen Diagnose und rechtzeitigem Beginn der Therapie ist es möglich, den Verlauf der Alzheimer-Krankheit positiv zu beeinflussen.“
Erst vor wenigen Wochen stellte das Pharmaunternehmen Pfizer und Johnson & Johnson die Weiterentwicklung eines möglichen neuen Medikaments gegen Alzheimer ein, da sich dieses in zahlreichen Tests als nicht ausreichend wirksam erwiesen hatte.
Aufgrund der wenig zufriedenstellenden Therapiesituation raten Experten der fortschreitenden Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit durch Verhaltens-, Musik- oder Erinnerungstherapien, geistiger und sportlicher Aktivität sowie mit einer ausgewogenen Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse entgegen zu wirken. Wissenschaftler der Universität Ulm entdeckten kürzlich eine deutlich verminderte Konzentration von Vitamin C und Beta-Karotin im Blut Demenzkranker.
Werden Demenzkranke in Deutschland nicht angemessen behandelt?
Diese Frage beantwortet Professor Hans Gutzmann, Präsident der deutschen Alterspsychiater, mit einen eindeutigen „ja!“. Für eine angemessene Versorgung der Betroffenen sollten Medikamente, nichtmedikamentöse Therapien und pflegerische Maßnahmen in einem therapeutischen Gesamtkonzept Anwendung finden, so die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Die Therapien würden eine Verlangsamung der Krankheit bewirken, so dass Betroffene länger selbstbestimmt und in Würde leben können. So reduzierten sich auch die Kosten für die Unterbringung im Pflegeheim, die so zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen könne.
„Das Nebeneinander von Kranken- und Pflegekassen in Deutschland führt dazu, dass Demenz-kranke, gemessen an internationalen Standards, in Deutschland nicht angemessen behandelt werden“, berichtet Gutzmann. „Solange die Politik die Alzheimer-Krankheit eher als pflegerisches Problem betrachtet und die Chancen, die eine medizinische Behandlung bietet, nicht erkennt, bleibt die Trennung zwischen Kranken- und Pflegekasse erhalten. Betriebswirtschaftlich ist es dabei für eine Krankenkasse nicht sinnvoll, eine Behandlung zu bezahlen, deren Nutzen – durch die erst später eintretende Pflegebedürftigkeit – die Pflegekasse hat. Deshalb bleibt das medizinisch Notwendige und volkswirtschaftlich Sinnvolle ungetan.“ (ag)
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Bild: Gerd Altmann, Pixelio
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