Colon irritabile, Reizkolon, Irritables Darmsyndrom
Viele Menschen leiden unter Darmbeschwerden, die keiner genauen Ursache zugeordnet werden können. Bauchschmerzen, die nach dem Stuhlgang zurückgehen, sowie abwechselnd Durchfall und Verstopfungen sind hier oft Hinweise auf ein sogenanntes Reizdarmsyndrom (RDS).
Inhaltsverzeichnis
Definition
Das Reizdarsyndrom kann nach unterschiedlichen Kriterienkatalogen (Manning, Kruis, Rom I, Rom II, Rom III) bestimmt werden, wobei hierzuland vor allem die Definition nach den gemeinsamen Behandlungsleitinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) Anwendnung findet.
Demnach ist das Reizdarmsyndrom gekennzeichnet durch chronische Darmbeschwerden (besipielsweise Bauchschmerzen und Blähungen), die in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen, so stark sind, dass Betroffene deswegen ärztliche Hilfe suchen und hierdurch in ihrer Lebensqualität relevant beeinträchtigt werden. Gleichzeitig dürfen keine „für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vorliegen, welche wahrscheinlich für diese Symptome verantwortlich sind.“
In der medizinischen Fachwelt werden für das RDS auch alternative Bezeichnung wie spastischer Kolon, Colon irritabile, Reizkolon oder Irritables Darmsyndrom verwendet. Umgangssprachlich ist mitunter von einem „nervösen Darm“ die Rede. Zudem bestehen weitere Untergliederungen des Reizdarmsyndroms in verschiedene Subtypen, wie beispielsweise den spastischen Kolon mit Abdominalschmerzen bei Wechsel von Obstipation und Diarrhö oder einen schmerzlosen RDS mit Diarrhö. Auch RDS mit ausschließlicher Verstopfung (RDS-O) wird gegenüber RDS mit Durchfall (RDS-D) und RDS mit wechselnden Stuhlkonsistenzen (RDS-M) abgegrenzt.
Verbreitung und Symptome
In der medizinischen Praxis zählt das RDS zu den besonders stark verbreiteten Beschwerdebildern. Abhängig von der Art der Definition sind laut Aussage der DGVS und der DGNM bis zu 13,6 Prozent der Bevölkerung (Rom I) oder gar bis zu 25 Prozent (Manning) betroffen. Frauen entwickeln etwa doppelt so häufig wie Männer entsprechende Beschwerden. Theoretisch kann die Erkrankung in jedem Lebenalter auftreten und auch Kinder sind durchaus nicht selten betroffen.
Das Reizdarmsyndrom ist eine an sich ungefährliche, jedoch sehr unangenehme Erkrankung, die in einigen Fällen zum vollständigen Rückzug der Betroffenen führt. Das Problem ist eine Übererregbarkeit der Darmbewegung mit krankhaft erhöhter Schmerzempfindlichkeit des Darmes. Außerdem besteht eine gesteigerte Reaktion auf Stress. Die Symptomatik des RDS kann sich bei den einzelnen Betroffenen deutlich unterscheiden. Meist zeigen die Patienten eine abnorme Häufigkeit des Stuhlgangs und eine veränderte Stuhlkonsistenz sowie vermehrte Blähungen.
Weitere typische Beschwerden sind krampfartige Schmerzen in unterschiedlicher Stärke, ein harter Blähbauch, Durchfall und Verstopfung im Wechsel sowie Schleimbeimengungen im Stuhl. Das Gefühl, sich beim Stuhlgang nicht vollständig entleert zu haben, kann ebenso auftreten wie eine spürbare Erleichterung nach dem Toilettengang. Die Symptome zeigen sich oftmals vor allem morgens, wohingegen die Nächte meist als beschwerdefrei erlebt werden. Auch in Magen und Speiseröhre können Symptome hinzukommen, wie etwa Völlegefühl nach dem Essen, Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen und Sodbrennen.
Darüber hinaus zeigen viele Betroffene begleitende allgemeine Symptome wie Schlafstörungen, Beschwerden beim Wasserlassen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Angst und Depression, Menstruations- und funktionelle Herzbeschwerden. Hier ist allerdings der Zusammenhangmit dem Reizdarmsyndrom oftmals unklar.
Ursachen
Die genauen Ursachen des RDS sind bis heute nicht abschließend geklärt. Es wird von einem Zusammenspiel zahlreicher Faktoren ausgegangen, wobei zum Beispiel einer veränderten Motilität (Darmbewegung) eine maßgebliche Rolle zugeschrieben wird. Diese ist beispielsweise bei RDS-Patienten mit Verstopfung deutlich eingeschränkt, wohingegen bei einem Reizdarmsyndrom mit Durchfall die Motilität ungewöhnlich hoch ausfällt.
Störungen des Immungleichgewichts im Darm werden ebenfalls als mögliche Ursachen diskutiert. So sind bei den Betroffenen mikroinflammatorische und neuroimmunologische Prozesse in der Darmschleimhaut festzustellen, die mit einer lokalen Zunahme von Immunzellen und/oder sogenannten EC-Zellen einhergehen. Bei vielen Patienten liegt darüber hinaus eine genetische Disposition vor, ihre Sympathikus-Parasympathikus-Aktivierung ist verändert und die Darmflora in Qualität und Quantität beeinträchtigt.
Als möglicher Auslöser sind des Weiteren Magen-Darm-Infekte bekannt und auch ein Zusammenhang mit Stress gilt als höchstwahrscheinlich. So ist laut der aktuellen Behandlungsleitlinien „akuter Stress als Co-Faktor für die Entstehung bzw. die Aufrechterhaltung des Beschwerdebilds“ anzunehmen und dieser kann den Verlauf eines RDS ungünstig beeinflussen. Sowohl akuter, als auch chronischer Stress haben Einfluss auf die gastrointestinalen Funktionen. Dennoch ließ sich bisher keine eindeutige kausale Beziehung zwischen dem RDS und psychischem Stress nachweisen.
Die DGVS und die DGNM kommen in ihren Behandlungsleitlinien zu dem Schluss, dass für die Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms diverse molekulare und zelluläre Mechanismen, einzeln und in Kombination, relevant seien, wobei deren Häufigkeiten und Spezifität zum Teil unklar bleibe.
Diagnose
Da es sich beim Reizdarmsyndrom um eine sogenannte „Ausschlussdiagnose“ handelt, müssen organische Erkrankungen (zum Beispiel Dickdarm- und Magenkarzinom, Magen- und Zwölffingerdarm-geschwür, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, chronische Pankreatitis und Schilddrüsenfunktionsstörungen) durch umfassende ärztliche Untersuchungen (inkl. Blut- und Stuhluntersuchung, Ultraschall des Bauches, einmalige Spiegelung im Verdauungstrakt, Entnahme von Gewebeproben) ausgeschlossen werden. Erst wenn tatsächlich sichergestellt ist, dass keine andere Erkrankung vorliegt, und sämtliche übrigen Kriterien der gängigen Behandlungsleitinien erfüllt sind, kann von einer gesicherten Diagnose ausgegangen werden.
Therapie
Die Behandlungsmöglichkeiten basieren in der Regel auf verschiedenen konventionellen und alternativen Maßnahmen, wobei eine Umstellung der Lebens- und Ernährungsweise meist im Vordergrund steht. Allerdings existiert laut den Behandlungsleitlinien von DGVS und DGNM aufgrund der Heterogenität des Reizdarmsyndroms keine Standardtherapie und jede Behandllung hat zunächst probatorischen Charakter.
Grundsätzlich sollte den Patienten zunächst ein „schlüssiges pathophysiologisches Konzept der Symptomgenese“ vermittelt werden, bei dem „insbesondere über den Zusammenhang zwischen Stress bzw. Emotionen und somatischer Symptomatik“ informiert wird, so die Empfehlung in den Behandlungsleitlinien. Der Ausschluss bedrohlicher Erkrankungen sollte für die Betroffenen nachvollziehbar erfolgen, um ihnen die Ängste zu nehmen.
Die medikamentöse Therapie richtet sich nach den Beschwerden und dient der Symptomlinderung. Hierfür werden die verschiedenen Subtypen des Reizdarmsyndroms herangezogen. Liegt ein RDS mit Durchfall vor, kommen sogenannte Antidiarrhoika zum Einsatz, während Laxanzien bei RDS-O eingesetzt werden. Die begleitende Einnahme von Probiotika soll zu einer Normalisierung der Darmflora beitragen und gegen die Schmerzen können bei Bedarf sogenannte Spasmolytika oder SSRI Anwendung finden. Zeigt die medikamentöse Behandlung nicht den gewünschten Erfolg, ist diese laut den Behandlungsleitlinien nach spätestens drei Monaten einzustellen – bei einzelnen Wirkstoffen schon deutlich früher.
Zeigen sich in der Diagnose Hinweise auf ein Zusammenspiel der Beschwerden mit psychischen Belastungen ist gegebenenfalls begleitend zu der allgemeinen medizinischen Versorgung eine Psychotherapie angebracht. Insgesamt seien „psychotherapeutische Verfahren (darmbezogene Hypnose, kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische Therapie) zur Therapie des RDS effektiv und sollten in ein Therapiekonzept integriert werden“, so der Hinweise in den Behandlungsleitlinien von DGVS und DGNM.
Durch Anpassungen des Ernährungs- und Lebensstils lassen sich bei vielen Betroffenen die Beschwerden deutlich reduzieren. Individuelle Auslöser der Symptomatik wie Stress oder bestimmte Lebensmittel gilt es zu meiden. Auch ein regulierter Tagesablauf, ausgewogene Ernährung und ausreichend körperliche Bewegung werden oft empfohlen, allerdings ist hier eine eindeutige Aussage zur Wirkung nicht möglich. Beispielsweise profitieren viele Patienten von einer gut verdaulichen, reizarmen und gesunden Ernährung, z.B. mit gedünstetem Obst und Gemüse (Rohkost und Vollkorn verstärken die Beschwerden meist), doch gilt dies nicht gleichermaßen für alle Betroffenen.
Zwar gibt es keine einheitliche Ernährungsempfehlung gegen das RDS, aber mit verschiedenen Diäten kann idividuell unterschiedlich gegen die Symptome vorgegangen werden. Auch bietet sich der Einsatz von löslichen Ballaststoffen (beispielsweise Flohsamen) zur Behandlung von Patienten mit Schmerzen und/oder RDS-O an.
Naturheilkunde
In den aktuellen Behandlungsleitlinien wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Therapie mit Phytotherapeutika bei Patienten mit Stuhlunregelmäßigkeiten und/oder Schmerzen eingesetzt werden kann. Die Pflanzenmixtur STW-5 (Iberogast), bestehend aus Auszügen von Iberis amara (Bittere Schleifenblume – Frische Ganzpflanze), Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchten, Mariendistelfrüchten, Melissenblättern, Pfefferminzblättern, Schöllkraut und Süßholzwurzel, wird hier beispielsweise für Behandlungsversuche bei RDS-O empfohlen.
Bei der naturheilkundlichen Behandlung des Reizdarmsyndroms wird häufig auf Heilpflanzen zurückgegriffen, wobei insbesondere die innerliche Anwendung von Pfefferminzöl und Kümmelöl eine auch in der Schulmedizin anerkannte Wirkung hat. Sie helfen vor allem gegen die Stuhlunregelmäßigkeiten und gegen begleitende Schmerzen. Abhängig von den individuellen Symptomen kommen verschiedene weitere Heilpflanzen (zum Beispiel Anis, Fenchel, Kümmel, Koriander und Pfefferminze) zum Einsatz, die auch als Tee eingenommen werden können.
Die Naturheilkunde setzt bei der Behandlung des Reizdarmsyndrom auch auf äußerliche Anwendungen wie Bauchmassagen, Auflangen und Wickel – durchaus mit wissenschaftlich nachweisbarem Erfolg. Beispielsweise wurde für Auflagen mit Kümmelöl in einer Studie aus dem Jahr 2016 die Wirkung eindeutig bestätigt. Weitere äußerliche Anwendungen wie beispielsweise die Akupunktur sind im Einzelfall ebenfalls in Betracht zu ziehen.
Des Weiteren können Entspannungstechniken wie Yoga, autogenes Training, Tai-chi, Qigong oder Meditation zur Linderung der Beschwerden eingesetzt werden, wobei hier neben dem Stressabbau auch die veränderte Köperwahrnehmung eine besondere Rolle spielt.
Nicht zuletzt wird in der Naturheilkunde auf verschiedene erfahrungsmedizinische Verfahren zurückgegriffen, wobei insbesondere mit einer Darmsanierung und der Einnahme von Probiotika häufig deutlich positive Effekte erzielt werden können. Auch die Einnahme von Heilerde ist eine vielfach bewährte Behandlungsmethode. Ebenso zeigt die Osteopathie häufig eine positve Wirkung.
Bei Patienten, deren Erkrankung in engem Zusammenhang mit psychischen Problemen steht, wird oftmals auf eine Hypnosetherapie zurückgegriffen und mit Hilfe der Homöopathie und Schüssler Salze wird bei der naturheilkundlichen Behandlung gegebenenfalls ergänzend versucht, individuelle Beschwerden gezielt zu lindern. Letztendlich bedarf es eines umfassenden Therapiekonzeptes, dass auf die jeweilige Symptomatik und die Situation der Betroffenen abgestimmt wird. (jvs, fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V.: S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom, Stand: September 2009, dgvs.de
- Merck & Co., Inc.: Reizdarmsyndrom (IBS) (Spastisches Kolon, Colon irritabile) (Abruf: 14.08.2019), msdmanuals.com
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Reizdarmsyndrom (Abruf: 14.08.2019), gesundheitsinformation.de
- Berufsverband Deutscher Internisten e.V.: Reizdarm (Abruf: 14.08.2019), internisten-im-netz.de
- Deutsche Reizdarmselbsthilfe e. V.: IBS Krankheitsbilder (Abruf: 14.08.2019), reizdarmselbsthilfe.de
- Mayo Clinic: Irritable bowel syndrome (Abruf: 14.08.2019), mayoclinic.org
- National Health Service UK: What is IBS? (Abruf: 14.08.2019), nhs.uk
- U.S. National Library of Medicine: Irritable Bowel Syndrome (Abruf: 14.08.2019), medlineplus.gov
- National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases: Irritable Bowel Syndrome (IBS) (Abruf: 14.08.2019), niddk.nih.gov
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.