Bio-Lebensmittel als Überträger der EHEC Bakterien unter Verdacht
07.06.2011
Bio-Produkte unter Verdacht. Das die Sprossen eines Biohofs als Quelle der EHEC-Infektionen vermutet werden, hat die komplette Bio-Branche in Mitleidenschaft gezogen. Auch die Verbraucher fragen sich, nach den Risiken, die von den Bio-Lebensmitteln ausgehen können. Zwar enthalten die Bio-Produkte in der Regel weniger Schadstoffe, wie Pestizide oder Konservierungsmittel, doch die Bio-Lebensmittel weisen meist auch eine höhere Keimbelastung auf, berichtete die Stiftung Warentest im Juni des vergangenen Jahres.
Die Äußerungen des niedersächsischen Landwirtschaftsministers, dass vermutlich die Sprossen eines Bio-Agrarproduzenten im Landkreis Uelzen für den Ausbruch der aktuellen EHEC-Infektionswelle verantwortlich sind, bringen eine ganze Branche in Bedrängnis. Anders als bei früheren Skandalen in der Lebensmittelindustrie wie zum Beispiel bei der Anfang des Jahres entdeckten Dioxin-Belastung in Eiern, steht diesmal nicht die industrielle Lebensmittelerzeugung im Mittelpunkt, sondern die Erzeuger von Bio-Produkten werden als mögliche Infektionsquelle verdächtigt.
Keimbelastung bei Bioprodukten höher
Dass die Keimbelastung auf Bio-Produkten generell etwas höher liegt, als bei der industriellen Lebensmittelindustrie, ist darauf zurückzuführen, dass auf den Einsatz von chemischen Hilfsmitteln bei der Produktion komplett verzichtet wird. Doch sind die Keime in der Regel eher harmlos und für die Gesundheit des Menschen kaum bedenklich. Anders im aktuellen Fall der EHEC-Infektionen. So gefährliche Belastungen wie mit dem Erreger des neuen EHEC Bakterienstamms HUSEC 041, wurden auf den Bio-Produkten bisher noch nie nachgewiesen. Angesichts der Äußerungen des niedersächsischen Landwirtschaftsministers liegt jedoch der Verdacht nahe, dass ein Biohof aus dem Landkreis Uelzen für die Verbreitung der gefährlichen EHEC-Erreger verantwortlich sein könnte. Der Rückschluss, dass die Produktionsbedingungen in dem Bio-Betrieb die Verbreitung der Keime begünstigt haben könnten und der daraus abgeleitete Generalverdacht, die Bio-Branche sei Schuld an der EHEC-Epidemie – schießt jedoch über das Ziel hinaus. Zwar ist es richtig, dass die Keimbelastung der Bio-Produkte aufgrund des Verzichts auf chemische Hilfsmittel tendenziell höher liegt und die Verbreitung der Erreger somit begünstigt wird. Doch die Bedingungen, unter denen so gefährliche Erreger wie der EHEC-Stamm HUSEC041 entstehen, sind nach Ansicht der Experten nicht im Bereich der Bio-Betriebe zu suchen.
Futtermethoden der Massentierhaltung als Ursache der EHEC
Der aktuell häufig zitierte „EHEC-Papst“ Professor Helge Karch aus Münster hatte schon bei früheren Ausbrüchen die „nicht artgerechte Fütterung“ in der Massentierhaltung für das Auftreten besonders gefährlicher EHEC-Erreger verantwortlich gemacht. Durch die verwendeten Getreide-Kraftfutter-Mischungen werde die Verbreitung aggressiver EHEC-Erreger begünstigt, so die Einschätzung des Experten. Denn die Futtermischung wird im Magen der Tiere nur unvollständig abgebaut und anschließend unverdaut in den Darm der Tier geleitet. Dort beginnt die Nahrung zu gären und die enthaltenen EHEC-Erreger können sich langsam an das saure Milieu gewöhnen, so das bereits 1998 im Fachmagazin „Science“ veröffentlichte Studienergebnis einer US-Forschergruppe der Cornell-Universität in Ithaca, New York. Dadurch werden die Keime widerstandsfähiger, auch gegen die Angriffe der menschlichen Magensäure. Außerdem enthielt der Darminhalt der Wiederkäuer, die mit Getreide-Kraftfutter ernährt wurden, 250.000 EHEC-Zellen pro Gramm wohingegen Tiere, die mit Heu oder Gras gefüttert wurden, lediglich 20.000 EHEC-Zellen pro Gramm Darminhalt aufwiesen, erläuterten die US-Forscher. Neue Erregerstämme, die auf diese Weise entstehen, können anschließend über die Fäkalien der Tiere verbreitet werden und am Ende auch zu Verunreinigungen der Bio-Produkte führen. Hier verbreiten sich die gefährlichen Erreger aufgrund des fehlenden Einsatzes chemischer Hilfsmittel unter Umständen sogar schneller als in der industriellen Lebensmittelproduktion.
Schuldzuweisungen in Richtung der Bio-Branche unangemessen
Wer sich angesichts der aktuellen EHEC-Krise in seinem ungesunden Ernährungsverhalten und dem Hang zu industriell erzeugten Lebensmitteln bestätigt fühlt, sollte jedoch bedenken, dass eine der ersten dramatischen Ausbreitung der EHEC-Infektionen vor rund dreißig Jahren in den USA durch nicht vollständig gegarte Hamburger einer bekannten Schnellrestaurant-Kette verursacht wurden. Dabei spielten Bio-Produkte oder alternative Lebensmittelerzeugungsmethoden in keinster Weise eine Rolle. Jedes Jahr werden hierzulande hunderttausende Infektionen durch verunreinigte Lebensmittel gemeldet, doch auch hier sind bei den wenigsten Fällen, der zum Beispiel durch Colibakterien, Listerien, Parasiten, Pilze oder Salmonellen ausgelösten Beschwerden, Bio-Produkte die Ursache. Dass nun aufgrund der Vermutungen des niedersächsischen Landwirtschaftsministers versucht wird, die komplette Schuld an der EHEC-Epidemie auf die Bio-Branche abzuwälzen, ist aufgrund der Unwägbarkeit über die Entstehung des neuen gefährlichen EHEC-Stammes eher unangebracht. Sowohl die industriellen Lebensmittelerzeuger als auch die Bio-Produzenten sind dazu aufgefordert, mögliche Ursachen der EHEC-Infektionen in ihren Reihen zu überprüfen und entsprechende Vorsorgemaßnahmen einzuleiten, um derartige Epidemien künftig zu vermeiden. (fp)
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