Gesundheit: Spätfolgen durch radioaktive Strahlungen befürchtet
16.03.2011
Erstmals räumt die japanische Regierung ein, dass durch das havarierende Atomkraftwerk in Fukushima eine deutliche Gefahr für die Gesundheit ausgeht. Der atomare Gau, also der größte anzunehmende Unfall eines Atomreaktors, ist längst bittere Realität. Der internationale INES Wert, also der Wert, der den Schaden eines Reaktorunfalls bemisst, ist mittlerweile von von Vier auf Sechs erhöht worden. Das Land befindet sich nun an der Schwelle eines sogenannten Supergau, bei dem die weiteren Folgen nicht mehr beherrschbar sind. Was könnte das für die Gesundheit der Menschen in Japan bedeuten?
Reaktoren geraten zunehmend außer Kontrolle
Nach aktuellen Meldungen gerät die Situation des Atomkraftwerks Fukushima immer mehr außer Kontrolle. Nach nun mittlerweile vier Explosionen und mehreren Bränden sind insgesamt vier der sechs Reaktoren in Fukushima schwer beschädigt. Nach Angaben der japanischen Atomaufsichtsbehörde ist vermutlich zum ersten Mal auch die innere Schutzhülle eines Reaktors beschädigt. Es klaffen offenbar zwei Löcher mit einer Größe von acht Quadratmetern an der Hülle des Reaktors. In zwei weiteren Reaktoren sollen nach Regierungsangaben ebenfalls die Systeme zur Kühlung ausgefallen sein. Das Land steht vor einer atomaren Katastrophe ungeahnten Ausmaßes.
Reaktoren sollen von außen gekühlt werden
Beinahe hilflos muten nun die aktuell unternommenen Versuche an, die beschädigten Reaktoren von außen zu kühlen. Zunächst hatte man am heutigen Morgen japanischer Zeit versucht, mit Hilfe von Hubschraubern die Kühlung zu übernehmen. Da aber die zeitweisen hohen Strahlenwerte für die Besatzungen gesundheitsgefährdend waren, brach man die Aktion nach kurzer Zeit wieder ab. Nun sollen Wasserwerfer der Polizei für eine externe Kühlung sorgen. Ob dieser Versuch gelingt, ist bislang offen.
Gau oder Supergau?
Fast genau 25 Jahre nach Tschernobyl wird ein erneuter Super-GAU befürchtet. Der Supergau tritt dann ein, wenn keine Möglichkeiten mehr bestehen, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Kurzzeitig sah es bereits so aus, als die letzten verbliebenen 50 Arbeiter und Ingenieure aus dem Krisengebiet abgezogen wurden. Nach einer kurzen Zeit befinden sich die freiwillig verbliebenen Angestellten wieder im Kontrollzentrum der Anlage. Die Schutzzone wurde von 10 auf 20 und nun auf 30 Kilometer ausgeweitet. Allerdings müssen die Menschen – die sich in der Nähe des Unglücksorts noch aufhalten sich auf weitreichende Gesundheitsschäden einstellen. Denn wenn einmal radioaktive Stoffe in den Körper gelangen, können diese auch nach Jahrzehnten schwere Krebserkrankungen auslösen. Die Arbeiter in dem defekten Reaktor sind zeitweise hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt. Dennoch versuchen sie alles, um einen Supergau noch abzuwenden. In Japan spricht man bereits in diesem Zusammenhang von „Helden“, weil sich die Angestellten einer extremen gesundheitlichen Gefahr aussetzen, um die Bevölkerung vor einer atomaren Verseuchung zu schützen.
Hohe Strahlendosen bereits gemessen
Die internationale Atomaufsichtsbehörde IAEA teilte heute mit, dass in der Nähe des Atomkraftwerks Fukushima bereits Strahlendosen von bis zu 400 Millisievert pro Stunde gemessen wurden. Schon eine Dosis von 100 Millisievert reicht aus, um schwerwiegende Krebskrankheiten als Spätfolge auszulösen. Zusätzlich wurde in der umliegenden Luft der Reaktoren das radioaktive Cäsium-137 und Jod-131 gemessen. Diese Stoffe sind nicht minder gefährlich und können sich in der Luft über weite Teile des Landes verteilen. Sind die Winde ungünstig, kann auch die Hauptstadt Tokio beispielsweise durch radioaktive Niederschläge betroffen sein. Derzeit sieht es aber so aus, als würden die Strahlenpartikel aufs Meer getrieben werden.
Begrenzte Mittel zum Schutz vor Radioaktivität
Für die Menschen in Japan gibt es nur wenige Möglichkeiten sich gegen die atomare Gefahr zu schützen. Die Behörden beschränken sich daher darauf, die Bevölkerung darauf hinzuweisen, ihre Häuser nicht zu verlassen, die Klimaanlage auszustellen und einen Mundschutz zu tragen. Da aber ein Atemschutz kaum flüchtige, radioaktive Stoffe abhalten kann, ist zu mindestens diese Schutzmaßnahme minder wirksam. Zusätzlich lässt die japanische Regierung Jod-Tabletten verteilen. Diese sollen die Menschen vor dem radioaktiven Jod 131 schützen. Die Wirkung ist aber auch hier begrenzt und schützt nur vor einer möglichen Schilddrüsenkrebs Erkrankung als Spätfolge. Zudem müssen die Arzneimittel im Vorfeld eingenommen werden, um den Körper quasi mit Jod zu überschwemmen, damit überflüssiges, verseuchtes Jod wieder ausgeschieden wird. Erstmals werden nun auch im japanischen Fernsehen praktische Hinweise gegeben, wie man sich vor der nahenden Strahlenverseuchung schützen kann. Denn die radioaktiven Strahlenarten können weitreichende, gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung nach sich ziehen. Menschen in Deutschland sollten allerdings auf keinen Fall zur Vorbeugung Jod-Tabletten einnehmen, da eine Schilddrüsenüberfunktion ausgelöst werden kann. Zudem besteht aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht derzeit keine Indikatoren, die eine solche Einnahme rechtfertigen könnte.
Ist eine weitreichende Kernschmelze im Gange?
Unklar ist noch immer, ob eine Kernschmelze im größeren Ausmaß stattgefunden hat. Der Atommeiler Betreiber TEPCO spricht davon, dass eine Kernschmelze nur partiell stattfand. Um die heiß gewordenen Brennstäbe abzukühlen, soll nun Meerwasser von außen als Kühlung eingesetzt werden. Eine Kernschmelze ist deshalb so gefährlich, weil durch diesen Vorgang neben Cäsium-137 und Jod-131 auch Uran, Plutonium und andere Spaltprodukte wie Krypton oder Strontium austreten können. Nach Angaben des Bundesministerium für Strahlenschutz wurden in Japan allerdings kaum bzw. unzureichende Messungen vorgenommen, um konkretisierende Angaben über eine Freisetzung der Stoffe machen zu können. Allerdings deuten die vorgenommenen Messungen daraufhin, dass der Reaktorkern offensichtlich beschädigt wurde. Derzeit widersprechen sich Behörden, Regierungsangaben und die Betreibergesellschaft in diesem Aspekt, so dass kaum eindeutige Angaben hierzu gemacht werden können.
Große Gesundheitsgefahr durch Cäsium-137 und Jod-131
Werden Cäsium-137, Jod-131, Uran, Plutonium und andere Spaltprodukte tatsächlich in hohen Dosen in die Umwelt abgegeben, so wäre dies die größte Gesundheitsgefahr für den Menschen. Denn Tiere und Menschen nehmen diese Stoffe durch das Einatmen der kontaminierten Luft in den Organismus auf. Insbesondere wenn sich die Menschen in der Nähe des Atomreaktors aufhalten, besteht ein sehr hohes Risiko an Blutkrebs oder Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Die Folgen sind zumeist nicht auf dem ersten Blick sichtbar und können auch noch Jahrzehnte nach der Aufnahme der radioaktiven Partikel auftreten. Zudem besitzt der radioaktive Stoff Cäsium-137 einen hohe Halbwertszeit von 30 Jahren. Das bedeutet, erst nach 30 Jahren nimmt die Hälfte der Strahlendosis ab. Erfolgte eine Kontaminierung, so gibt es keine medizinischen Möglichkeiten, eine erfolgreiche Therapie einzuleiten, um die Schädigungen des Körpers abzumildern. Cäsium breitet sich vor allem im Muskelgewebe und in den Nervenzellen aus. Dabei werden die Prozesse zwischen dem Zellinneren und der Zellumgebung erheblich geschädigt.
Strahlenkrankheit droht den Ingenieure in Fukushima
Eine weitere Gefahr besteht durch die Strahlung selbst. Wird ein Mensch innerhalb weniger Minuten oder Stunden mit einem Strahlungswert von 400 bis 500 Millisievert verseucht, so tritt die gefürchtete Strahlenkrankheit auf. Die Patienten leiden dann unter starken Kopfschmerzen, Blutarmut und starkem Zellverfall. Ob ein Patient eine solche Strahlenbelastung überlebt, hängt maßgeblich von der Dauer und Intensität der Strahlung ab. Um so länger und um so höher die Strahlendosis war, um so geringer fallen auch die Überlebenschancen aus.
Sind die Menschen in Europa gefährdet?
Wie sich die Situation in Japan weiterentwickelt, bleibt abzuwarten. Eines scheint jedoch jetzt schon sicher: Die Umgebung des havarierenden Atomkraftwerkes Fukushima bleibt auf Jahre wenn nicht Jahrzehnte unbewohnbar. Eine Gefahr für die deutsche bzw. europäische Bevölkerung wird nach Ansicht zahlreicher Expertenmeinungen derzeit ausgeschlossen, da anders als damals in Tschernobyl, bislang keine starken Brände aufgetreten sind. Zudem ist die Entfernung von rund 7000 Kilometern zu groß, um von einer tatsächlichen Gefahr zusprechen. Anders ist die Situation aber im östlichen Teil Russlands. Hier hat die russische Regierung bereits die Armee in Alarmbereitschaft versetzt, um mögliche Evakuierungen einleiten zu können, falls tatsächlich ein Supergau eintritt. (sb, gb)
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Joujou / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
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