„Therapie-Revolution“: Heilungschancen von Hepatitis C bei fast 90 Prozent
23.07.2014
In Deutschland sind bis zu einer Million Menschen mit Hepatitis-Viren infiziert. Die wenigsten von ihnen wissen jedoch davon und bemerken die Infektion oft erst spät. Und das obwohl Hepatitis C mit Hilfe von Medikamenten gut behandelt werden kann. Dank neuer Wirkstoffe könne die Infektionskrankheit in nahezu 90 Prozent der Fälle geheilt werden. Ein Experte spricht dabei von einer „Therapie-Revolution“.
Viele wissen nichts von ihrer Infektion
Man kann schon von einer stillen Volksseuche sprechen: Bis zu einer Million Menschen sind in Deutschland mit Hepatitis-Viren infiziert. Allerdings wissen die wenigsten von ihnen davon. Nur ein Drittel der Betroffenen entwickeln die typische Gelbsucht, ein Drittel der Infizierten bemerkt lediglich Grippe-Symptome wie Fieber, Gliederschmerzen, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen oder Müdigkeit und ein weiteres Drittel bemerkt gar nichts. Die chronische Virushepatitis kann jedoch zu Spätfolgen wie Leberzirrhose sowie Leberkrebs führen und damit tödlich enden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat deshalb vor drei Jahren den Welt-Hepatitis-Tag am 28. Juli eingeführt, der auf die Bedrohung aufmerksam machen soll.
Erhöhte Leberwerte müssen ernst genommen werden
Der Leberspezialist Michael Manns von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) appelliert an Risikogruppen, sich testen zu lassen. Dazu zählen Drogenabhängige, Migranten aus bestimmten Ländern sowie medizinisches Personal. Auch Menschen, die vor 1991 Bluttransfusionen erhalten haben oder häufig operiert wurden, sollten sich einem Test unterziehen. Manns schätzt, dass aktuell nur zehn bis 20 Prozent von Hepatitis B und C diagnostiziert werden. Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa sagte der Gastroenterologe: „Erhöhte Leberwerte gelten vielfach als Kavaliersdelikt, dabei müssen sie abgeklärt werden.“ Auch die Deutsche Leberhilfe hatte im vergangenen Jahr kritisiert, dass zwar bei Routineuntersuchungen manchmal erhöhte Leberwerte festgestellt würden, „was jedoch oft ignoriert wird“.
Zwei neue Wirkstoffe seit Jahresbeginn auf dem Markt
Ähnlich wie HIV-Infizierte müssen Patienten mit einer chronischen Hepatitis B lebenslang Medikamente nehmen, bei chronischer Hepatitis C ist jedoch eine vollständige Heilung möglich. Seit Beginn des Jahres sind zwei neue Wirkstoffe auf dem Markt, die einer größeren Patientengruppe helfen und weit weniger Nebenwirkungen haben als die bisherige Standardtherapie. Die Mediziner der MHH waren an Zulassungsstudien für die neuen Mittel beteiligt. Manns sieht es als „unglaubliche, seltene Erfolgsgeschichte der Medizin“ an, dass die Infektionskrankheit jetzt zu nahezu 90 Prozent geheilt werden kann. Das mache künftig rund ein Viertel aller Lebertransplantationen vermeidbar.
„Therapie-Revolution“ mit hohen Kosten
Seit Jahresbeginn meldeten sich bei der Deutschen Leberhilfe zahlreiche Hepatitis-C-Patienten, die auf die neuen Mittel hoffen. „Es handelt sich um eine Therapie-Revolution“, meinte der Sprecher der Selbsthilfeorganisation, Ingo van Thiel. „Allerdings sind die Arzneimittelkosten noch ein großes Hindernis.“ Derzeit fallen für eine 24-wöchige Therapie Kosten von rund 120.000 Euro an. Das oberste Beschlussgremium des deutschen Gesundheitswesens, der Gemeinsame Bundesausschuss, hat vor kurzem mit knapper Mehrheit dafür gestimmt, dem neuen Wirkstoff Sofosbuvir etwas mehr Zusatznutzen gegenüber den älteren Mitteln zu bescheinigen als dies die zögernden Krankenkassen ursprünglich wollten. Therapien mit älteren Mitteln gehen häufig mit starken Nebenwirkungen, insbesondere mit schwerwiegenden psychiatrischen Problemen wie beispielsweise Depressionen einher. Das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte zuvor moniert, dass der Zusatznutzen des neuen Hepatitis C-Mittels nicht quantifizierbar sei, „da unklar ist, wie häufig tatsächlich das Auftreten von Leberkrebs vermieden werden kann“. Doch der Gemeinsame Bundesausschuss folgte den Bedenken des IQWiG nicht.
Nachholbedarf bei der Versorgung von Patienten
Deutschland sei Studien zufolge zwar in der Hepatitis-Forschung führend, doch bei der Versorgung von Patienten gibt es Nachholbedarf. Vor einem Jahr hat ein Bündnis von Ärzten und Betroffenen-Verbänden der Bundesregierung einen nationalen Aktionsplan vorgelegt. Van Thiel kritisierte: „Weder die systematische Untersuchung von Risikogruppen noch eine Kontrolle von Leberwerten bei Vorsorgeuntersuchungen gehören hierzulande zum Standard.“ Ein nationaler Aktionsplan könnte zudem den Nebeneffekt haben, dass Vorurteile abgebaut werden. „Leberkrankheiten insgesamt haben ein Schmuddel-Image und werden mit „alkoholkrank“ gleichgesetzt. Das ist eines der großen Hemmnisse, warum diese Krankheiten nicht häufiger erkannt und behandelt werden“, meinte Manns, der die Deutsche Leberstiftung mitbegründet hat. Noch immer suche die Organisation nach einem bekannten Repräsentanten. Wie der Leberexperte sagte, gebe es – anders als bei Brustkrebs – in Deutschland bisher keinen Prominenten mit Hepatitis C, der sich outete. (ad)
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