Kliniken neigen aus rein wirtschaftlichem Interesse zu unnötigen OP´s
30.05.2012
In den Krankenhäusern werden offenbar aus ökonomischen Gründen teilweise überflüssige Operationen durchgeführt, so das erschreckende Ergebnis einer Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung Essen (RWI) im Auftrag des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherungen.
„Vieles deutet darauf hin, dass in den Kliniken aufgrund ökonomischer Anreize medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht werden“, erläuterte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, unter Bezug auf die Studie des RWI in einer aktuellen Pressemitteilung. Offenbar lassen sich die Kliniken verstärkt von finanziellen Interessen leiten, anstatt das medizinisch Notwendige in den Vordergrund der Behandlung zu stellen.
Wirtschaftliches Interesse der Kliniken Anlass für vermehrte Operationen
Den Aussagen des RWI-Gutachtens zufolge, werden viele Patienten aus rein wirtschaftlichem Interesse der Kliniken einem unnötigen Operationsrisiko ausgesetzt. Insgesamt steige die „Zahl der Krankenhausfälle und der jeweils abgerechnete Schweregrad scheinbar unaufhaltsam“, wobei sich „nur ein Teil dieser Steigerung durch die demografische Entwicklung erklären“ lasse, so die Mitteilung des GKV-Spitzenverbandes. „Man muss immer mehr aufpassen, dass man nicht unters Messer kommt“, kommentierte der Krankenhaus-Experte des GKV-Spitzenverbands, Wulf-Dietrich Leber, den Anstieg bei den Operationen gegenüber dem Nachrichtensender „ntv“. Bei der deutlichen Zunahmen der Knie- und Hüftprothesen sowie der Wirbelsäulen-Eingriffe sei davon auszugehen, dass hier die Grenze des medizinisch Sinnvollen überschritten wird. Insgesamt war der Studie des RWI zufolge zwischen 2006 und 2010 ein Anstieg bei den gewichteten Krankenhausbehandlungen – dem sogenannten Casemix – um 13 Prozent zu verzeichnen. Lediglich 40 Prozent der Steigerung seien jedoch auf die Alterung der Bevölkerung zurückzuführen, berichtete der Studienautor und Gesundheitsexperte des RWI, Dr. Boris Augurzky, bei der Vorstellung der Studienergebnisse in Berlin. „Nach Analysen der Gutachter steigt die Leistungsmenge seit Einführung der Fallpauschalen jährlich um circa drei Prozent“, was nicht durch die demografische Entwicklung zu erklären sei, betonte der GKV-Spitzenverband in seiner Pressemitteilung. Demnach erbringen die Krankenhäuser „offenbar einen Teil der zusätzlichen Leistungen allein aus ökonomischen Gründen.“
Preisanstieg als Ursache für überflüssige Operationen
Hauptursache für die ökonomisch motivierten Eingriffe ist nach Einschätzung des RWI-Gutachtens auch der Preisanstieg bei unterschiedlichen Eingriffen. „Insgesamt kann der Preisanstieg ab 2007 einen erheblichen Anteil der Fallzahlentwicklung erklären“, so die Aussage in der Studie des RWI. Für einzelne Diagnosebezogene Fallgruppen (Diagnosis Related Groups, DRG) „liegen die Grenzkosten erheblich unterhalb der Vollkosten und somit ist für einen zusätzlichen Fall der Erlös höher als die Kosten, so dass hier ein starker Anreiz zur Mengenausdehnung besteht“, schreiben Dr. Augurzky und Kollegen in ihrem Gutachten. Die Grenzkosten sind die Kosten, welche durch eine zusätzliche Behandlung des Patienten entstehen, wobei die Fixkosten, welche unabhängig von der Anzahl der Behandlungen anfallen (zum Beispiel Gebäudekosten), hier nicht hinzugerechnet werden. Wird ein Patient bereits in der Klinik behandelt, fallen die Grenzkosten für einen zusätzlichen Eingriff oft deutlich niedriger aus, als die hierfür vorgesehene Leistungsvergütung. Entsprechend kann es sich für die Krankenhäuser durchaus lohnen, den Patienten einfach mehr Leistungen anzubieten – unabhängig davon, ob diese erforderlich sind oder nicht?
Unnötiges Operationsrisiko für die Patienten
Für die Patienten ist mit diesem ökonomisch geleiteten Vorgehen der Kliniken jedoch im Zweifelsfall ein unnötiges Operationsrisiko verbunden, weshalb auch von Seiten der Krankenkassen Maßnahmen zur Vermeidung überflüssiger, rein finanziell geleiteter Operationen gefordert werden. „Wir brauchen kurzfristig eine Stabilisierung von Preis und Menge und wir brauchen mittelfristig neue Modelle zur Steuerung der Mengen, insbesondere im Bereich planbarer Operationen“, betonte Johann-Magnus von Stackelberg. „Es muss das gemeinsame Anliegen der Kliniken, der Patienten und der Krankenkassen sein, dass die Anreize für medizinisch nicht notwendige Operationen gemindert werden“, so der Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes weiter. Generell begrüße der GKV-Spitzenverband daher, dass auch die Politik sich der Diskussion über neue Formen der Mengensteuerung bei den Klinikbehandlungen gewidmet hat. Allerdings bestehe bei den aktuellen Vorschlägen die Gefahr, dass sich die Problematik weiter verschärfe.
Nachhaltige Vorschläge zur Beseitigung der Mengenproblematik gefragt
Die derzeit im Raum stehenden Abschläge für Mehrleistungen – zusätzliche Eingriffe bei einem bereits in Behandlung befindlichen Patienten, sollen geringer vergütet werden – können nur kurzfristig „den Anreiz für Krankenhäuser reduzieren, ökonomisch induzierte und medizinisch nicht notwendige Leistungen zu erbringen“, so die Aussage in der Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbandes. Weil die Preise im Rahmen der Gesetzgebung nicht wirkungsvoll begrenzt werden, bestehe weiterhin der Anreiz, in die Menge zu gehen. Langfristig sind daher andere Lösungsmodelle zur Beseitigung der Mengenanreize erforderlich. Bis zum kommenden Jahr sollen die Kliniken und Krankenkassen einen Vorschlag zur nachhaltigen Lösungen der Mengenthematik erarbeiten. Allerdings müsse auch kurzfristig darauf geachtet werden, dass „zu dem Mengenproblem durch Scharfstellung des Orientierungswertes und der Refinanzierung von Tarifsteigerungen nicht auch noch ein Preisproblem“ kommt, betonte von Stackelberg und ergänzte: „Höhere Preise verstärken den Anreiz, aus rein ökonomischen Aspekten heraus Mehrmengen zu erbringen.“ (fp)
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Bild: Martin Büdenbender / pixelio.de
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