PKV Neugeschäft boomt – zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen
20.11.2011
Während einige gesetzlichen Krankenkassen massiv unter den Belastungen der zurückliegenden Gesundheitsreform leiden, profitieren die privaten Krankenversicherer (PKV) von der neuen Wahlfreiheit und konnten im ersten Halbjahr 2011 ihr Neugeschäft um 20 Prozent steigern, berichtet das „Handelsblatt“.
Seit Jahresbeginn wurde der Wechsel für gut verdienende Versicherte in Richtung der PKV deutlich erleichtert. Mussten sie bis dato noch mindestens drei Jahre ein entsprechend hohes Einkommen nachweisen, so reicht seit diesem Jahr das einmalige überschreiten der Einkommensgrenze von 45.900 Euro Jahreseinkommen. Diese Möglichkeit haben offenbar zahlreiche Versicherte im ersten Halbjahr 2011 genutzt und sind in die PKV gewechselt. Viele versprechen sich nicht nur niedrigere Beitragskosten sondern auch deutlich verbesserte Leistungen. Doch auch in der PKV werden heute längst nicht mehr alle Leistungen ohne Nachfragen übernommen, berichtet der PKV-Ombudsmann, Dr. Klaus Theo Schröder, gegenüber der „Ärzte Zeitung“.
PKV-Neugeschäft wächst um 20 Prozent
Auch der PKV-Verband zeigte sich angesichts des deutlichen Zuwachses bei den Neuabschlüssen erfreut und betonte die positive Wirkung der politischen Beschlüsse. Doch wo die PKV profitiert, haben die gesetzlichen Versicherungen mit wachsenden Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Anstieg beim Neugeschäft der PKV im ersten Halbjahr 2011 um rund 20 Prozent geht eindeutig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherer. Vor allem gut verdienende Angestellte wechseln vermehrt in Richtung der privaten, was die Mitgliederstruktur in der gesetzlichen Krankenkasse deutlich schwächt. Überspitzt dargestellt bleiben die alten, kranken Versicherten, deren Beiträge weniger Einnahmen bescheren als ihre Versorgung kostet, in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) während die jungen, gesunden, gut verdienenden Mitglieder in die PKV wechseln. Damit wir das solidarische Prinzip, das dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem zugrunde liegt, mehr oder weniger ausgehebelt. Während sich die privaten Anbieter dem „Handelsblatt“ zufolge über die „spürbare Belebung des Wettbewerbs“ und den Neuzugang von 54.000 Vollversicherten im ersten Halbjahr 2011 freuen, kämpfen einige gesetzliche Krankenversicherungen mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und die ersten mussten bereits ihren Betrieb einstellen (siehe City BKK sowie BKK für Heilberufe).
Gute Geschäfte mit Zusatzversicherungen
Heute sind rund 8,95 Millionen Deutsche in der privaten Krankenversicherung vollversichert. Die überwältigende Mehrheit von rund 70 Millionen Personen ist hingegen Mitglied in einer gesetzlichen Krankenversicherung. Allerdings verliert die GKV ungefähr im gleichen Umfang Mitglieder wie die PKV gewinnt. Außerdem wurde den gesetzlichen Krankenkassen vom Gesetzgeber untersagt, weiterhin beim Geschäft mit den Zusatzversicherungen mitzumischen, so dass dieses Geschäftsfeld ausschließlich den gut 40 privaten Krankenversicherern zufällt. Hier konnten die privaten Krankenversicherungen im ersten Halbjahr 2011 netto rund 119.000 Zusatzversicherungen abschließen, was ebenfalls deutlich über dem Wert des Vorjahres (77.000) lag, berichtet das „Handelsblatt“. Insgesamt stellen die privaten Versicherer den aktuellen Berichten zufolge derzeit mehr als 22 Millionen Zusatzversicherungen. Das Geschäft bei den privaten Krankenversicherern läuft demnach recht ordentlich. Für das Gesamtjahr rechnet die Branche mit Beitragseinnahmen von 34,9 Milliarden Euro, was einem Plus von 4,9 Prozent entspricht. Die überwältigende Mehrheit der Einnahmen entfällt dabei mit 32,76 Milliarden Euro auf die Krankenversicherung, aber auch im Bereich der Pflegeversicherung konnten die privaten Versicherer 2,14 Milliarden Euro Beitragseinnahmen verzeichnen.
Steigenden Ausgaben für Versorgungsleistungen auch in der PKV
Doch bei den privaten Krankenversicherungen schlagen die jährliche steigenden Ausgaben für Versicherungsleistungen ebenfalls verstärkt durch und lagen im ersten Halbjahr 2011 bei rund 23,1 Milliarden Euro. Dies entspreche einem Anstieg um 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, womit „der Kostenanstieg auch 2011 deutlich über der allgemeinen Preissteigerung“ bleibt, zitiert das „Handelsblatt“ aus dem Zahlenbericht 2010/2011 des PKV-Verbandes. Kritiker vermuten, dass dies auch einer der Gründe dafür ist, dass bei den übernommen Leistungen heute sehr viel genauer hingeschaut wird, als noch vor einigen Jahren. Dieser Einschätzung widerspricht Dr. Klaus Theo Schröder, ehemaliger Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium und seit Januar 2011 PKV-Ombudsmann, und erklärte gegenüber der „Ärzte Zeitung“, dass sich in der verweigerten Kostenübernahmen bei speziellen Leistungen auch eine höhere Aufmerksamkeit der privaten Krankenversicherer für die Qualität der Leistungen widerspiegeln könne.
Erhöhte Qualitätsansprüche oder Kostendruck?
Demnach wäre eine Verweigerung der Kostenübernahme nicht unbedingt Ausdruck des steigenden Kostendrucks, sondern möglicherweise ein Zeichen für steigende Qualitätsansprüche der privaten Versicherer. Wie Dr. Schröder erläuterte, wird auch „in der PKV zunehmend diskutiert, was eine qualitativ gute Versorgung ist“, und prinzipiell sei es „ein Fortschritt, wenn Qualitäts-Aspekte eine größere Rolle spielen.“ Dem PKV-Ombudsmann zufolge betreffen 18 Prozent der Streitigkeiten, die über ihn geklärt werden sollen, die Notwendigkeit medizinischer Leistungen. Vor einer planbaren teuren Behandlung sollten sich privat Versicherte daher dringend einen Kostenvoranschlag vorlegen lassen und bei ihrer Versicherung nachfragen, welcher Anteil der Kosten übernommen wird. Als Beispiel für Verweigerungen der Kostenübernahme nannte Dr. Schröder unterschiedliche Lifestyle-Produkte, deren Kosten früher oftmals ohne weitere Nachfrage getragen wurden, welche heute jedoch von vielen privaten Krankenversicherungen nicht mehr übernommen werden. (fp)
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